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3. Die deutschen Romantiker.

SCHILLER besaß nicht jenes in innerster Wurzel lyrische Genie Goethe's; seine Stärke war nicht das Lied, sondern neben dem Drama das episch-didaktische Gedicht, nicht die Empfindungs-, sondern die Gedankenlyrik; sein Naturgefühl äußert sich daher hauptsächlich theoretisch oder in gelegentlichen Schilderungen in den epischen und dramatischen Dichtungen. In seiner sentimentalen Periode schwärmt allerdings auch er nicht minder für die Natur als seine empfindsamen Zeitgenossen; so im „Abend":1

Ha! wie die müden Abendstrahlen
Das wallende Gewölk bemalen!
Wie dort die Abendwolken sich
Im Schoß der Silberwellen malen!

O Anblick, wie entzückst du mich!

In Verzückung der Liebe findet er,,Sonnenaufgangsglut brennend in den goldnen Blicken" seiner Laura:

Deine Seele, gleich der Spiegelwelle

Silberklar und sonnenhelle,

Maiet nach dem trüben Herbst;

Um dich Wüsten, öd' und schauerlich,
Lichten sich in deiner Strahlenquelle.

Mit solchen ekstatischen Überschwenglichkeiten kontrastieren die trefflichen Naturschilderungen voll objektiven, wahrsten Lebens in den größeren Gedichten wie die der Charybde im ,,Taucher", wo unvergleichlich das verwirrende Wassergewühl gemalt wird,2 des unendlichen Regens, der Flüsse und Bäche anschwellen läßt, des silberhellen Bächleins, das den Dürstenden erquickt, und des

1 In BALTH. HAUG's Schwäb. Magazin 1776; ein anderes, gleichbetiteltes, nach Klopstock'scher Art, ist weit anschaulicher.

2 Man vergleiche auch den erschöpfenden Wechsel der Bezeichnungen: Der schwarze Mund, die unendliche See, das wilde Meer, der finstere Schoß, die heulende Tiefe, die strudelnde Wasserhöhle; wie malen auch die Zeilen: ,,Es kommen, es kommen die Wasser all, Sie rauschen herauf, sie rauschen nieder"!

Abends in der „Bürgschaft", sowie der Landschaftsbilder im,,Tell“ und im ,,Spaziergang", wo die mannigfach wechselnde Scenerie ,,zum Rahmen wird für eine Art Phänomenologie der Menschheit", wie Julian Schmidt sagt. Schiller's Interesse an der Natur beruht mehr auf Reflexion als auf Anschauung und hat eine wesentlich philosophisch-moralische Grundrichtung.1 Natur gilt ihm gleich Natürlichkeit; den Dichter, welcher Natur ist, nennt er naiv, den, der sie sucht, sentimentalisch; aber er übersieht, daß das Altertum nicht immer naiv blieb und daß nicht alle Modernen sentimentalisch sind. Als Schüler Rousseau's empfindet er scharf den Gegensatz von Natur und Kunst und fühlt sich wohl in der Einsamkeit, wo der Mensch nicht hinkommt mit seiner Qual":

Wohl dem, selig muß ich ihn preisen
Der in der Stille der ländlichen Flur,
Fern von des Lebens verworrenen Kreisen
Kindlich liegt an der Brust der Natur.

Vielleicht ist kein Dichter der Natur gegenüber sentimentalischer gewesen im Sinne Schiller's als JEAN PAUL. Er ist der humoristisch - satirische Idyllendichter par excellence; auch die Landschaft seiner Romane ist eine idyllische, schlichte: Berge,

1 In seiner Abhandlung über MATTHISSON'S Gedichte sagt er: „Die landschaftliche Natur muß zu einem Ausdruck von Ideen gemacht werden. Dann wird der tote Buchstabe der Natur zu einer lebendigen Geistersprache, und das äußere und innere Auge lesen dieselbe Schrift der Erscheinungen auf ganz verschiedene Weise. Jenę liebliche Harmonie der Gestalten, der Töne und des Lichts, die den ästhetischen Sinn entzückt, befriedigt zugleich den moralischen." In M.'s Gedichten findet er alle wesentlichen Bedingungen der Landschaftsdichtung erfüllt: Wahrheit und Anschaulichkeit, musikalische Schönheit und Geist.,,Der Charakter seiner Muse ist sanfte Schwermut und eine gewisse kontemplative Schwärmerei, wozu die Einsamkeit und eine schöne Natur den gefühlvollen Menschen so gerne neigen . . Ein mit der höchsten Schönheit vertrautes Herz gehört dazu, jene Einfalt der Empfindungen mitten unter allen Einflüssen der raffiniertesten Kultur zu bewahren, ohne welche sie durchaus keine Würde hat." Schiller hebt M. zu hoch; seine Gedichte sind mehr Schilderung, Malerei des Gegenständlichen, ja, mehr breite, zerfließende Beschreibung als innere Durchdringung von Bild und Empfindung. Man vergl. z. B. Goethe's Cedicht „An den Mond" mit M.'s,,Mondscheingemälde".

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Dörfer und Thäler; aber was weiß er aus dem geringfügigsten, täglich sich wiederholenden Vorgange in der Natur zu machen! Da glüht alles von Empfindung; eine orientalische Pracht der Bilder, die tollkühnste Überschwenglichkeit an Metaphern, mit buntester Mischung der Begriffe wird aufgebracht; Jean Paul schildert fast nie außer im Titan den Lago maggiore, wird alles Landschaftliche, jeder Sonnenauf- und untergang („mit der ganzen Magie der Beleuchtung" wie Gottschall sagt1) getaucht in die Tiefe der Empfindung der in Gefühlen schwelgenden Helden. Diese sind von dem lebendigsten Naturgefühl beseelt; unermüdlich durchwandern sie ihre kleine Gegend; alle Empfindungen spiegelt sie ihnen wieder; Universum und Menschenseele sind eins, in steter Wechselbeziehung; hierin liegt der pantheistische Zug Jean Paul'scher Weltanschauung. „Jedem Menschen", sagt er in der Vorschule der Ästhetik, „erscheint eine andere Natur, und es kommt nur darauf an, welchem die schönste erscheint; die Natur ist für den Menschen in ewiger Menschwerdung begriffen; die äußere Natur wird in jeder inneren eine andere." Jedenfalls ist sie im Kopfe Jean Paul's eine ganz andere als in dem der Sterblichen sonst ob aber die schönste? Der Ausdruck seines höchst intensiven Naturgefühls ist ebenso barock wie sein ganzer Stil; Gedankenreichtum, Tiefe der Empfindung, sprühende Genialität allenthalben, aber in einer Hülle so wunderlich und kraus, so ungenießbar und verschnörkelt wie möglich. Dafür bedarf es nur weniger Belege. So lesen wir in den ,,Blumen-, Fruchtund Dornstücken des Armenadvokaten Siebenkäs":3,,Ich erschien. denn am letzten Abende des Jahres 1794 wieder, auf dessen rotgefärbten Wellen so viele verblutete Leichname ins Meer der Ewigkeit hineingetrieben wurden.",,Indes Siebenkäsens Schmetterlingsrüssel fand in jeder blauen Distelblüte des Schicksals offene

1 Die deutsche Nationallitteratur des 19. Jahrhunderts, I4, 1875, S. 153. 22. Aufl. Berlin Reimer 1827, S. 42, vergl. S. 35: Mit jedem Genie wird uns eine neue Natur geschaffen, indem es die alte weiter enthüllet. 3 Sämtl. Werke 11, 1826, S. 15.

BIESE, Naturgef. im Mittelalter etc.

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Honiggefäße genug" (24). „Als sie über das Thor d. h. über dessen unpalmyrische Ruinen hinaus waren: stand die krystallene wiederscheinende Grotte der Augustnacht aufgeschlossen und erleuchtete auf der dunkelgrünen Erde, und die Meerstille der Natur widersprach dem Sturme der menschlichen Brust; die Nacht zog die Himmelsdecke voll stiller Sonnen ohne ein Lüftchen über die Erde herauf und unter sie hinab; die gefällten Saaten lagen ohne Rauschen in Garben um, und die eintönige Grille und ein harmloser, alter Mann, der Schnecken für die Schneckengrube zusammenlas, schienen allein im weiten Dunkel zu wohnen" (65). Wie es Herbst und eitel Wehmut in der Brust des Helden ist, so auch in der Natur: „Über die Auen ohne Blumen, über die Beete ohne Ähren schweiften blasse Gespenstergebilde der Vergänglichkeit, und über den großen, ewigen Gegenständen, über Wäldern und Bergen hing ein nagender Nebel, als wenn sich in seinen Rauch die erschütterte, stäubende Natur auflösete. - — Aber ein lichter Gedanke zerteilte den dunkeln Staubregen der Natur und der Seele in einen weißen Nebel." Siebenkäs dachte an seinen Freund! Als seine Ehe aber immer öder wird, da ,,wurde dem armen Firmian auf der gelben Brandstätte der Natur im Dezember immer weher ums Herz", und als es Frühling wird, ist es ihm, „als wohne sein Leben nicht in einem festen Herzen, sondern in einer warmen, weichen Zähre, und sein beschwerter Geist dränge sich schwellend durch eine Kerkerfuge hinaus und zerlaufe zu einem Tone, zu einer blauen Ätherwelle."1 Und Titan drückt (I, 1) die innere Erlösung, welche die Natur dem Menschen gewährt, also aus:,,Hohe Natur! Wenn wir dich sehen und lieben, so lieben wir unsere Menschen wärmer, und wenn wir sie betrauern oder vergessen müssen, so bleibst du bei uns und ruhest vor dem

1 Bd. 13, S. 39 und 72, vergl. die malerisch-abstruse Schilderung des Sonnenaufgangs S. 97; Sonnenuntergang S. 102; S. 165: . .,,Das Glanzgold der Abendröte wirft ein Mattgold nach Osten und fället mit Rosenfarben an die schwebende Brust der erschütterten Lerche, der erhöhten Abendglocke der Natur"!!

nassen Auge wie ein grünendes, abendrotes Gebirg. Ach, vor der Seele, vor welcher der Morgentau der Ideale sich zum grauen, kalten Landregen entfärbt hat, .. bleibst du, erquickende Natur, mit deinen Blumen und Gebirgen und Katarakten treu und tröstend stehen, und der blutende Göttersohn wirft stumm und kalt den Tropfen der Pein aus den Augen, damit sie hell und weit auf deinen Vulkanen und auf deinen Frühlingen und auf deinen Sonnen liegen!"

Vor lauter Empfindungsseligkeit und vor lauter überquellendem Reichtum an sich überstürzenden Gedanken und Bildern kommt Jean Paul nie zu harmonisch-schönem Ausdruck seines tiefen und innigen Naturgefühls.

Jean Paul gab gleichsam das Motto für die Romantiker, denen die Grenzen, die Goethe und Schiller im engen Anschlusse an die Normen antiker Kunst gezogen hatten, zu eng wurden, mit den bezeichnenden Worten:,,Die plastische Sonne leuchtet einförmig wie das Wachen, der romantische Mond schimmert veränderlich wie das Träumen." So sagt in hochcharakteristischer Weise auch Hyperion: „0, ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt, ein Bettler, wenn er nachdenkt!" Geniale Einfachheit, ruhige Plastik, objektive Ruhe, durchsichtige Klarheit des Gedankens und des Ausdrucks waren die Ideale, welche Winkelmann und Lessing bei den Alten verwirklicht fanden und unsere großen Dichter mit modernem, deutschen Geiste zu verschmelzen und zu durchdringen suchten. Den Romantikern dagegen behagte das unruhig Wechselnde, das Bunte, Farbige, Phantastische, die Willkür, Gestalten zu schaffen und wieder aufzulösen. Die Harmonie ward zerstört durch die Ironie; schrankenlose Herrschaft des Ich, krassester Subjektivismus, rücksichtslose Laune der ausschweifenden Phantasie ward proklamiert; das im Dunkel der Brust verborgene Geheimnis der Seele ward ans Licht gezerrt, das Unsagbare sollte ausgedeutet, das Dämmerige, ja Nebelhafte im Gemüt sollte beleuchtet werden. Alles Gegenständliche, Anschauliche, Festumrissene ward gemieden, denn es leidet dadurch die Unendlichkeit

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