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Erstes Kapitel.

Christentum und Germanentum.

ie Grundpfeiler der mittelalterlichen Kultur sind Christen

tum und Germanentum. Das Altertum hatte sich überlebt, seine schöpferische Kraft war gebrochen, und es sank hinab in das Meer der Vergangenheit wie die Sphinx, die sich in den Abgrund stürzt, wenn ihr Rätsel gelöst ist. Es giebt Zeiten in der Weltgeschichte, die Veränderungen herbeiführen, nach denen es scheinen möchte, es sei das Alte ganz vergangen und es sei nun alles mit einem Schlage neu geworden, als sei ein Weltenbrand der alten Sage hereingebrochen, um einen neuen Völkerfrühling heraufzuführen. Aber in gewissem Sinne sind alle Zeiten Übergangsepochen, denn allemale wird Altes überwunden und stirbt ab und wird Neues gewonnen; aber auch allemale verquickt sich das Neue mit dem Alten und nimmt dieses als treibendes Moment in sich auf, es verändernd und umbildend, wie es sich fügt. Es will nun leicht scheinen, als ob das Christentum wie der Phönix aus der Asche der alten Welt heraufgestiegen sei, plötzlich und unvermittelt; aber wenn es auch in seinem innersten Kern auf der unvergleichlich edlen und tiefen, von der innigsten Gottesfurcht und Nächstenliebe durchdrungenen Persönlichkeit seines Stifters beruht, das Christentum ist doch auch ein Produkt seiner Zeit und geworden, einem Strome gleich, dessen Quellflüsse teils in Judäa, teils in Hellas entsprungen sind. So verleugnet auch das christliche Mittelalter nimmer die Spuren des Einflusses dieser beiden Momente. Seine Litteratur erwächst auf diesem synkre

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tistischen Boden, den Inhalt alttestamentlichen und spezifisch christlichen Stoffen entnehmend und die Form den Meistern der Antike nachbildend; aber Stoff und Form sind nur in der Abstraktion zu trennen; das Mittelalter ist durch und durch von antiken, nicht bloß jüdischen, sondern auch griechisch-römischen Elementen durchwoben. Auch die Entwickelung des Naturgefühls steht unter dem Banne beider, allerdings in erster Linie unter dem der hebräischen Anschauungsweise, und diese ließ eine Freude x an der Natur um ihrer selbst willen nicht aufkommen. Das Christentum verschärfte noch den Gegensatz zwischen Gott und Welt, Schöpfer und Schöpfung, den das Judentum aufgestellt hatte.,,Habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist; so jemand die Welt lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters" mahnt Johannes. Es gilt, die Blicke nach oben richten zu dem himmlischen Vater, der über den Sternen thront;,,laß was irdisch ist, dahinten, schwing dich über die Natur" predigt der gläubige Sänger. Das Christentum ist in seiner strengen ernsten Form die Religion des Transcendenten, der Weltflucht, des Verzichtes auf irdisches Glück, irdische Freude, irdischen Genuß. Durch das Eindringen der Sünde ist die Schöpfung ein Zerrbild geworden, und das Dasein auf dieser Erde hat nur den sehr bedingten Wert einer Durchgangsstufe zum ewigen Reiche Gottes.

Heiter genoß der antike Mensch das Leben; wie ein ebener Strom rann es ihm dahin; Daseinsfreude kennzeichnet bis in die Zeiten des Verfalls das Griechentum. Im Christentum ward „alle Erdengegenwart zur Himmelszukunft verflüchtigt, und das Reich des Unendlichen blühte über der Brandstätte der Endlichkeit auf" (JEAN PAUL); ja es ward die schöne Welt wie ein verlockendes Zaubermittel des Satans, wie ein verführerischer, gleißnerischer Schein, unter dem wie der Wurm in der Frucht sich die Sünde birgt, geflohen. Die antike Mythologie baute über die Erscheinungswelt eine zweite auf, die jene verhüllte wie ein duftiges Gewebe; der antike Mensch sah in allen Natur-Phänomenen die Stätten eines göttlichen Wirkens und ahnte und träumte in allem

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und jedem von einem göttlichen Wesen, das ihm verwandt sei; das Landschaftliche ward so zunächst vom Göttlichen aufgesogen. Judentum und Christentum trennten aufs schärfste Gott und Natur; diese steht jenem gegenüber wie ein abgefallener Engel. Es giebt nur eine Welt, und das ist die Welt des Geistes, und es giebt nur eine Sphäre des Geistigen, und das ist die der Religion, des Verhältnisses zwischen Mensch und Gott. Alles Sinnliche ist ein Blendwerk des Teufels.

War der Götterglaube der Hellenen pandämonistisch und kosmisch, so ist das Christentum in seiner ursprünglichen Tendenz antikosmisch, naturfeindlich; denn die Welt, die Natur existiert nur in bezug auf den Schöpfer; sie ist nicht mehr ,,die erhabene Mutter der Dinge", sondern nur ein Mittel in der Hand der Vorsehung. Sah der Grieche in allen Gestaltungen, die ihn umgaben, etwas ihm Vertrautes, ja Heiliges, weil von einem Gotte Belebtes, so geht das Sinnen und Denken des Christen hinauf über alles Daseiende hinweg, über Wolken und Sterne dorthin, wo das Vaterherz eines treuen und liebenden, aber fernen Gottes schlägt. Hatte der antike Geist weit mehr an dem Einzelnen der Erscheinungen, an der unerschöpflichen Mannigfaltigkeit sich erfreut und war darüber nur selten zu dem Blick auf das Ganze, zur Betrachtung der Weltharmonie gelangt, so war für die christliche Phantasie in dieser Hinsicht die Natur ein Werk Gottes voll wunderbarer Ordnung, in der das Einzelne nur Bedeutung hat, soweit es ein Glied in der Kette des Ganzen, soweit es ein Werkzeug in der Hand des allmächtigen Schöpfers ist. „Ästhetischen Gestaltungstrieben konnte solche Sinnesweise, für die nichts mehr auf sich beruhte, alles auf anderes hindeutete oder bezogen war, nicht förderlich sein" (LOTZE). Aber wenn so alles sich nur in die Tiefe des Gemütes senkte und die Welt gleichsam unterging in dem Spiritualismus, wenn so das Geistige die Alleinherrschaft führte, so mußte auch die Unendlichkeit des individuellen Ichs weit schärfer hervorspringen, als es in der Weltgeschichte bis dahin möglich war.

Das Christentum durchbrach nicht bloß die Schranken des Nationalen, des Stammes und des Standes, sondern erweiterte mehr und mehr die Kluft zwischen Geist und Natur. Alles ward auf theoretische Weltbetrachtung gegründet, und in der sittlichen Tiefe der Innerlichkeit ward der Wert des Individuums gefunden. In diesem christlichen Individualismus liegt eine der wichtigsten Vorstufen einer eben individuellen ästhetischen Naturbetrachtung, die allerdings auch erst selbständig werden und die Natur lediglich um ihrer selbst willen suchen konnte, als auch die volle unumschränkte Selbständigkeit des Geistes erkannt war.

Doch das Christentum erlangt erst seine ganze Tiefe, als es sich verquickt mit germanischem Geiste, mit dem deutschen Gemüt, dieser wundertiefen Himmelsgabe, für die keine andere Sprache den treffenden Ausdruck gefunden hat. Die rauhe nordische Natur mit dem langen Winter und dem langsamen Erwachen neuen Lebens im Frühling, mit dem grauen Himmel, der schweren Atmosphäre, die wochenlang trübe, dunkle Tage bewirkt und die Sehnsucht nach Licht und Wärme weckt, wies den Ger- X manen in sein Inneres zurück. Und diese tief innerliche Anlage, welche sich schon in den ersten staatlichen Verbänden geltend macht, indem der Einzelne im Gefühl seines eigenen Wertes sich auf sich selbst stellt und verweigert, als Glied einem Ganzen dienend sich hinzugeben, bot einen fruchtbaren Boden dar für die neuen Keime der überreifen antiken Kultur und des lebenskräftigen Christentums. Die romanischen Völker bewahrten immer + noch etwas von der objektiven Daseinsfreude und Weltanschauung der antiken Völker, die unvermischt germanischen zeigen die eigene Gemütsinnerlichkeit potenziert durch die Gefühlsinnigkeit der neuen welterobernden Religion; hinzukommt, daß die romanischen Völker, die Südländer, in der farbensatten, lichtumflossenen Landschaft, in der Klarheit der Linien und in der Heiterkeit und freundlichen Helle des Himmels nicht jenen sympathetisch-geheimnisvollen Impuls zum Träumen und sehnsüchtig-weichen Schwärmen

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erhalten, der für den Nordländer in den schwer dahinziehenden Wolken, in dem Dunkel des Waldes, in den Nebeln der Ebene und der Berge, in dem Grau in Grau der atmosphärischen Stimmung und in dem viel intensiveren Wechsel des Landschaftsbildes liegt; das Physische und Psychische steht eben immerdar in Wechselbeziehung: ein rauhes Klima treibt den Menschen in die Innenwelt und bietet Anhalt zu mitempfindender Klage und Sehnsucht, und die Sehnsucht ist ein wichtiges Moment der gesteigerten Innerlichkeit.,,Mit dem Gemüte hängt der Natursinn der Germanen zusammen, mag er sie Haine den Göttern weihen lassen und mit deren Namen jenes Geheimnis bezeichnen, das sie nur in der Tiefe der Ehrfurcht erschauen, oder mag er sie zur Freude der Jagd, zum Ackerbau oder zum ernsten Eifer der Forschung führen" (CARRIERE). Die schmerzliche Sehnsucht nach dem Frühling und die Freude über die endlich eintretende Wiederbelebung der Natur nach dem alles Leben ertötenden Winter bildet den Grundakkord in der Naturanschauung der nordischen Völker von den ältesten Zeiten an. Trefflich hat VISCHER in seiner Ästhetik (II, 1, 97) die Einwirkung selbst der Pflanzenformen auf die Empfindungsweise der Germanen geschildert. Die Vegetation zeigt das Bild mannigfaltigster Abwechslung, das der starren Steifheit in der Tanne, das der weichen Linien in Ulmen und Erlen, der zarten Umrisse bei der Pappel, des bewegten Spieles des Baumschlags im Buchenwald oder der wehmütig und weich stimmenden weißrindigen, dünnkronigen, mit den Blättern stets im Winde spielenden Birke und der Trauerweide, der Stärke in der Eiche, der würdevollen Anmut in der Linde.

Wild und rauh wie Land und Meer ist die Tierwelt; die Kälte des Klimas erzeugt den Sinn für die Behaglichkeit der Häuslichkeit, für das Träumen am wärmenden Herd und sich hineinzuspinnen mit seinen Gedanken in sein Innenleben. Zu rauher Arbeit und zu kargem Genuß erzog die Natur den Germanen, aber das Verhältnis zu ihr ist doch von Anfang an ein herzliches und inniges.

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