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facht. So belehrt uns Vianna (a. a. O., S. 61), welcher hinzufügt: „Il est généralement indifférent, surtout devant r, de prononcer et d'écrire ou ou oi (ô ou ôi).“ In dem sich an die Ausspracheregeln anschliefsenden Kapitel über den prosodischen Accent ist die Regel 1, f: „Auf der drittletzten Silbe haben den Accent die meisten aus dem Lateinischen, Griechischen oder Arabischen herkommenden Wörter, z. B. carnívoro, synónimo, alfandegas in dieser Allgemeinheit natürlich unrichtig.

Was nun den eigentlichen grammatischen Teil anlangt, so ist dessen Behandlung in den beiden Büchern insofern gleichartig, als zuerst die Wortarten (ungenau heifst es dafür in der Vorrede Schillings „Redeteile") der Reihe nach erörtert werden und hieran sich eine kurzgefafste Darstellung der Syntax schliefst. Nur sind bei Schmitz die Klassen: Adjektiva (os adjectivos), Numeralia (os numeraes) und Pronomina (os pronomes) von vornherein durchaus getrennt, während Schilling dieselben jedoch von den Pronominen natürlich nur die adjektivischen als adjetivos zusammenfafst und diese sodann in adjetivos determinativos und adjetivos calificativos scheidet, eine Einleitung und Terminologie, welche ja der spanischen, wie auch der französischen Grammatik geläufig ist; zu den ersteren (den adje tivos determinativos) gehören nun auch die Zahlwörter, adjetivos numerales. Dieser Abschnitt, sowie auch der über das Substantiv, ist bei Schilling recht gut; der Inhalt ist richtig und ziemlich vollständig, die Darstellung klar, so dafs wenig Ausstellungen zu machen sind. Die Bedeutung von todo, a in 'todo un mes, todos los dias' ist doch nicht „,adverbial", wie S. 42 (Lekt. 10, § 2) gesagt wird. Von mismo das Schmitz zu den Demonstrativen rechnet, wahrend andere es (jedenfalls weniger richtig) als ein Indefinitum ansehen, Wiggers ihm als „pracisierendem Fürwort“ eine besondere Stelle anweist heifst es S. 32 (Lekt. 8, § 4): „Steht jedoch mismo etc. nach einem Haupt- oder Fürwort, so bedeutet es selbst, sogar." Bekanntlich steht aber mismo in der Bedeutung „sogar" zwischen Artikel und Substantiv (Las mismas mujeres fueron matadas). Nach den Beispielen zu schliefsen (Yo mismo he visto al jardinero ich selbst oder sogar habe den Gärtner gesehen), begeht Schilling den Fehler nicht in der Anwendung des spanischen Wortes, sondern in der des deutschen „sogar“, das er für selbst", als Gegensatz zu dem Begriffe des „anderen", gebraucht. Uhrchen“ (S. 29 im Tema) ist wohl nicht deutsch. Bei Schmitz sind einige der Genusregeln so allgemein gefasst, dafs die Zahl der Ausnahmen unübersehbar ist und also die Regeln ziemlich wertlos werden. Die Ablativtheorie spukt auch in diesem Buche: a caridade, a virtude, heifst es S. 12 (Lekt. 4), sind von den lateinischen Ablativen auf tate und ute abgeleitet. Vermutlich ist dies allerdings nicht im Sinne der d'Ovidioschen Theorie gesagt, sondern lediglich auf die aufserliche Gleichheit der lateinischen Ablativ- und der portugiesischen Endung gestützt. S. 33 (Lekt. 11): „Will man genau den Accusativ vom Nominativ unterscheiden, so setzt man dem Fürwort noch den bestimmten Artikel vor; z. B. o meu filho, meinen Sohn. Dasselbe geschieht auch häufig im Nominativ." Und doch sollen durch den Gebrauch oder Nicht gebrauch des Artikels die Kasus unterschieden werden? Die Regel: „Folgt ein Zahlwort auf einen Komparativ, so wird analog dem Französischen „als" nicht mit que, sondern mit de übersetzt", bedarf derselben genaueren Fassung wie im Französischen. O que in dem Satze: „Recebeu algumas feridas, o que (e isto) foi causa da sua morte" ist (S. 38, Lekt. 13, a) richtig erklärt, aber die Übersetzung (,,er empfing einige Wunden, welche die Ursache seines Todes waren") ist unrichtig, wenn auch bei dem vorliegenden Beispiel inhaltlich kein Unterschied ist. Auch die Behandlung des Verbums ist bei beiden Verfassern im ganzen durchaus zu loben. Schmitz hat sich in solchen Fällen bei den unregelmafsigen Verben, wo die Formen noch miteinander ringen, meist, wie es scheint, an den Grammatiker de Oliveira gehalten; eine Belehrung

Archiv f. n. Sprachen. LXXIII.

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darüber, dafs u und o in den Infinitiven acudir, bulir (bolir) tussir (tossir), cobrir lautlich identisch sind und die Verschiedenheit der herkömmlichen Schreibung nur in der Etymologie ihren Grund hat, werden wir natürlich bei der geringen Aufmerksamkeit, mit welcher die Aussprache gleich in dem ihr besonders gewidmeten Kapitel behandelt ist, gar nicht erwarten. Eine genaue Aussprache - Angabe (acudir. acudo, acodes, acode) wäre aber doch recht wünschenswert gewesen. Verhaltnismäfsig am meisten giebt bei Schilling zu Ausstellungen Anlaf's das Kapitel über die substantivischen Pronomina (Lekt. 23 und 24), welches wie mir scheint, etwas unzweckmäfsig zwischen die regelmäfsigen und unregelmässigen Verba eingeschoben ist. Wenn es S. 138 heifst, die Relativ-Pronomen (sic) „deklinieren alle mit de und á", so ist diese intransitive Anwendung des Verbums „deklinieren im Deutschen doch wohl zu verwerfen. Auf der nämlichen Seite (Lekt. 23, § 2) wird von quien, quienes gesagt: Bezieht es sich auf ein vorangehendes, hinweisendes Fürwort, so wird letzteres stets weggelassen; el quien, la quien etc. sind im Spanischen nicht gebräuchlich. Das Demonstrativpronomen wird weggelassen; und doch geht es voran? § 4 wird die Regel aufgestellt: „Unser deutsches Relativum,,was“, wenn es sich auf einen vorangehenden Satz bezieht, wird im Spanischen mit lo que oder mit cuanto gegeben." Was soll hier cuanto? Und von den drei Beispielen, welche Schilling giebt, pafst kein einziges hierher. Dieselben lauten nämlich: Juan no sabe lo que quiere. Deseamos á veces lo que ménos falta nos hace. No creo nada de todo (lo que oder) cuanto Pedro nos ha dicho. In § 7 ist der spanische Satz: Achí está el pobre de quien te quejaste tanto übersetzt: Dort ist der Arme, dessen (über den) du dich so sehr beklagtest." Der falsche Genetiv „dessen" steht hier deswegen, weil die Regel, zu der der Satz ein Beleg sein soll, lautet: „Dessen ohne darauffolgendes Hauptwort heifst de que oder bei Personen de quien." Die erste Regel in Lekt. 24 enthält einen leider immer mehr einreifsenden deutschen Sprachfehler (der aber eben deswegen um so mehr getadelt werden mufs), nämlich eine Inversion nach „und“. Eine sehr schlechte Ausdrucksweise fallt mir auch S. 178 (in der ersten Anmerkung) auf: „Das französische forcer zwingen, heifst obligar." Etwas komisch wird S. 187 (Lekt. 30, erste Anmerkung) gesagt: „So oft in der Konjugation der Verben desleir, engreir, freir, reir etc. zwei i zusammentreffen, wird, laut Beschlufs der spanischen Akademie, eines derselben elidiert und zwar des Wohlklanges wegen." S. 184: „Durch Weglassen des persönlichen Accusativs (in dem Satze: Yo aborrezsco tanto un hombre...) wird noch mehr Mifsachtung ausgedrückt.“ (Ebenso schon S. 138: „Der persönliche Accusativ fallt bei dem Relativpronomen que auch aus.") Es fallt doch nicht der persönliche Accusativ aus, sondern nur die zu seiner Bildung dienende Praposition á Und ähnliche Unrichtigkeiten und Ungenauigkeiten im deutschen Ausdruck wären noch manche zu rügen. Auf die unregelmäfsigen und mangelhaften Verba folgt ein Kapitel: „Übersetzung einiger deutschen Hilfsverben." Dort heifst es auf S. 234 (Lekt. 37, § 4): „Sollen kann auch mit querer übersetzt werden; z. B. ¿Qué quiere decir esto? ¿Quiere Vd. que se lo diga otra vez? ¿Quieres que me vaya?" In dem zweiten und dritten Satze ist der Gebrauch von querer offenbar ein ganz anderer als in dem ersten, und nur in diesem (dem ersten) ist sollen mit querer übersetzt". Unmittelbar nachher: „Sollen, müssen wird jedoch gewöhnlich mit deber gegeben, oder durch das Futuro, besonders im Dekalog () und überhaupt, wo es eine moralische Pflicht ausdrückt." Dafs „lassen durch „ser" gegeben werden könne, wie in § 7b der nämlichen Lektion gelehrt wird, versteht man nicht recht; gemeint ist: es de (z. B. prever) es läfst sich (voraussehen). Lekt. 38 behandelt die Adverbien.

Zu dem Satze: Juan es mas hombre que su hermano, wird (S. 241) bemerkt: Das Wort hombre ist im letzten Beispiel adjektivisch gebraucht“, was un

richtig ist. Das Wort deribado (abgeleitet) ist S. 241-243 eigentümlicherweise dreimal mit doppeltem r gedruckt. S. 242: „Folgen sich nun mehrere solcher Adverbien [nämlich auf mente], so wird nur dem letzten derselben die Silbe mente [mente sind übrigens zwei Silben] angehängt; die auf a endigenden Formen werden meist vorangestellt, und dadurch der Übergang ins Adverb ausgedrückt, was auch den Wohlklang bedeutend erhöht." Welch ungeschickte Ausdrucksweise! Die grammatische Beziehung des was" ist eine ganz verkehrte. S. 244 ($10): „Die deutschen Adverbien „sogar, selbst werden auch mit hasta gegeben." In den beiden angeführten Belegsätzen steht aber nicht einfaches hasta, sondern hasta el mismo.

Es bleibt noch der syntaktische Teil zu besprechen. Bei Schilling wird die Syntax ziemlich kurz behandelt. Die Lehre von den Temporibus und Modis umfafst zwar 23 von den 51 im ganzen der Syntax gewidmeten Seiten, ist jedoch lange nicht so reichhaltig und umständlich wie z. B. bei Wiggers. Denn während sie bei diesem volle 46 Seiten füllt, kommen von den 23 bei Schilling noch stark 10 in Abzug, welche Vokabeln, Übersetzungs- und Konversationsstoff enthalten, eine Partie des Buches, von welcher wir weiter unten noch besonders reden müssen. Natürlich hängt dies mit der Verschiedenheit der Zwecke beider Bücher zusammen: Wiggers will eine Spracherkenntnis vermitteln, zwar keine geschichtliche, sondern blofs eine rationelle; unserem Verfasser ist es hauptsächlich um ein praktisches Ziel zu thun. Diesem Zwecke entspricht die Behandlung durchaus. Allerdings hätte beim Gerundium mit en (S. 280, Lekt. 42, § 9) binzugefügt werden sollen, dafs dasselbe im Unterschiede vom reinen Gerundium nur zeitliche, nicht kausale Bedeutung hat. Auch ist das absolute Particip ungenügend erklärt, wenn es (ebendort § 11) heifst: „Das Particip steht oft vereinzelt, jedoch nur scheinbar, da man sich die Gerundien siendo, estando oder habiendo sido dabei denken mufs; z. B. Sembrados los trigos podemos hacer un viaje. (Siendo sembrados.)" Die richtige Erklärung würde schwerlich mehr Raum in Anspruch genommen haben. Das Plusquamperfekt soll die Längstvergangenheit ausdrücken (S. 291, Lekt. 43, § 11), wofür es natürlich, Vorvergangenheit" heifsen mufs. Ziemlich vollständig ist die Lehre vom Gebrauch des Artikels. An den Abrifs der Syntax schliefsen sich ein recht praktisches Kapitel über die Phraseologie einiger Zeitwörter, und ein recht überflüssiges über spanischen Satzbau.

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Ausführlicher und im ganzen recht hübsch ist die Darstellung der Syntax bei Schmitz. Wenn das Buch auch vorwiegend dem gesellschaftlichen und geschäftlichen Verkehr zu dienen beabsichtigt, so ist doch gerade diese Partie auch denjenigen sehr zu empfehlen, welche mit dem Studium des Portugiesischen litterarische Zwecke verfolgen. Wenigstens besitzen wir eine bessere Darstellung der portugiesischen Syntax meines Wissens nicht. (Die des Herrn von Reinhardstöttner z. B. ist entschieden schwächer.) S. 164: Andere Adjektiva haben nur komparativische Bedeutung und können nicht durch mais gesteigert werden, wie exterior, interior, anterior, posterior, superior, inferior; nur im Geschäftsleben sagt man zuweilen: esta fazenda é muito superior, diese Ware ist von viel besserer Qualitat. Die genannten Adjektiva lassen keine weitere Komparierung zu, aber doch eine Verstärkung z. B. durch muito, und keineswegs ist diese auf den Geschäftsstil beschränkt. Ebendaselbst wird der Grund, warum Adjektiva wie portuguez, corporeo, vencedor, matador nicht kompariert werden, in deren Ableitung von Substantiven, resp. Verben gesucht (und peccador sündhaft mit dem Komparativ mais peccador als Ausnahme erwähnt), während offenbar die Bedeutung den Grund enthält. „Aufserdem können diejenigen Adjektiva nicht gesteigert werden, die einen Zustand ausdrücken, wie morto tot, nascido geboren, casado verheiratet, desterrado verbannt." Diese Adjektiva gehören mit den ersterwähnten zusammen; die Fassung: ,die einen Zustand ausdrücken" ist aber einerseits zu weit (vergl. triste,

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feliz), andererseits zu eng (vergl. portuguez). In linguas meio barbaras, hat meio nicht adjektivische, sondern adverbialische Funktion. S. 176 findet sich der Satz: „Nós não o tinhamos avisado wir hatten ihn nicht benachrichtigt“, während o auf S. 174 (und auch schon S. 30) als blofs sächliche Form angeführt worden ist. S. 177: „Statt seu, sua, gebraucht man meistens die Umschreibung de Vm.ce oder do Sñr oder da Sñra.“ Dafs dies nur von der zweiten Person gilt, ersieht man zwar sofort, dennoch mufste es gesagt werden. S. 179: „Nach den Ausdrücken eis-aqui hier ist, und eis-ali da ist, hat quem eine verallgemeinernde (?) Bedeutung; z. B. eisaqui quem vós dirá a verdade, hier ist jemand, der auch die Wahrheit sagen wird. Das, was drückt der Portugiese durch o que oder durch aquillo aus"; es mufs heifsen: aquillo que. S. 185, Z. 7 v. o. soll es statt quem não sabe wohl beifsen: quem nada sabe. S. 187: quem muito embarca, pouco aperta (entsprechend dem französischen: qui trop embrasse, mal étreint) ist doch nicht, wie es an dieser Stelle sein soll, ein Beispiel für die Veränderlichkeit von muito und pouco. Die sonderbare Regel: „Folgt auf mehr oder weniger ein als, so setzt man gewönlich de mais, de menos“ wird erst verständlich durch die Beispiele: elle tem dez annos de mais que tu; tens dois contos de menos que eu. S. 195: anda lendo und anda a ler, werden unrichtig als bedeutungsgleich hingestellt. S. 200 wird angegeben, dafs bei nem.. nem das Prädikat „im Singular oder Plural" stehen könne; soweit meine Kenntnis reicht, ist (bei singularischem Subjekt) der Plural wenig gut. S. 204 ist die Regel über den Konjunktiv nach Konjunktionen (und dem Relativpronomen) augenscheinlich viel zu allgemein gefafst. S. 211: „Die [Adverbial-]Endung mente kann in verschiedener Weise erklärt werden: erstens als Ablativus des lateinischen mens, mentis Absicht; zweitens leitet man es her von dem keltischen Substantiv ment, welches Weise bedeutet." Die zweite Erklärung möge der Verfasser getrost streichen. Ein Anhang giebt einiges aus der portugiesischen Lautlebre (wobei die verschiedenen Entwickelungen des nämlichen Lautes der Grundsprache rein aufserlich und anscheinend als gleichberechtigt nebeneinander gestellt sind) und die hauptsächlichen Daten der Litteraturgeschichte.

Wenn wir zum Schlufs noch etwas über die mit der Grammatik verbundenen Übersetzungs- und sonstigen Übungsstoffe, welche ebenfalls in den beiden Büchern ganz gleichartig sind, sagen sollen, so sind auch diese im ganzen recht praktisch; um sie im einzelnen beurteilen zu können, müfste man die beiden Lehrbücher einmal dem Unterrichte zu Grunde gelegt haben. Hierzu fehlte dem Referenten die Gelegenheit. Die Exercicios (spanisch-deutsche Übersetzungsstoffe) und Temas (deutsch-spanische) bezw. Exercicios und Temas führen recht gut in die Umgangs- und Schriftsprache ein, wenn sich auch, hauptsächlich im Anfange, hier und da eine Plattheit à la Ollendorff einschleicht. Es folgt meist ein Abschnitt: Conversacion (Conversação) hinter einem zusammenhängenden Stücke auch wohl als Rekapitulacion sich über deren Inhalt erstreckend - welcher sich sehr zum Auswendiglernen eignen dürfte.

Im ganzen sind die spanische Grammatik von Schilling und die portugiesische Grammatik von Schmitz trotz einiger Mängel für die praktischen Zwecke unter allen mir bekannten Lehrbüchern die besten. Dr. Franz Lütgenau.

Franz Hirsch, Geschichte der Deutschen von ihren Anfängen bis auf die neueste Zeit. Leipzig u. Berlin, W. Friedrich. Deutsche Litteraturgeschichten giebt es wie Sand am Meere. Die wenigsten davon sind indessen wirklich lesbar. Der eine Verfasser ist zu gelehrt, der andere zu oberflächlich. Dieser begnügt sich mit weitschichtigen

bibliographischen Nachweisungen, jener erdrückt sein Werk mit kritischen Ausführungen, welche das Bild des Dichters und Schriftstellers gleichsam verdecken. Und doch sollte letzteres die Hauptsache sein. Denn aus einer Litteraturgeschichte will man doch eben die Dichter und Schriftsteller selber kennen lernen, nicht nur die Meinungen des Verfassers. Sie sollen seine Schilderungen fest und deutlich zeichnen, dafs wir eine Vorstellung von ihren Werken und ihrem Wirken bekommen. Nur eine solche Darstellung wird zugleich anregend genug sein, dafs wir uns von der Geschichte zu den Thaten, d. h. zu den Büchern wenden. Die meisten Litterarhistoriker wollen eine solche Anregung gar nicht geben. Sie kommen der Neigung des deutschen Publikums entgegen, welches bekanntlich lieber über die Bücher, als diese selbst liest. Fragt man sich schliefslich, was man aus einem solchen Werke erfahren hat, so beschränkt es sich besten Falles darauf, dafs der Autor ein geistreicher Mann ist.

Die Geschichte der deutschen Litteratur von Franz Hirsch macht in dieser Beziehung eine rühmliche Ausnahme. Sie verrät gründliches Wissen, ist aber trotzdem leicht und volkstümlich geschrieben. Überall tritt uns eine eigene Meinung entgegen, aber der Stoff kommt darüber nicht zu kurz. Man mag mit Hirsch nicht immer übereinstimmen, stets hat man das erfreuliche Gefühl, dafs er bei der Sache ist, dafs ihn echte Begeisterung führt und er diese auch im Leser zu erwecken bestrebt ist.

Davon legt schon die Schilderung der mittelalterlichen Poesie Zeugnis ab. Hier ist nichts von Voreingenommenheit gegen das ritterliche Zeitalter des Glaubens zu spüren; selbst den beiden grofsen Gegensätzen, Wolfram von Eschenbach und Gottfried von Strafsburg, wird Hirsch in objektivster Weise gerecht. Interessant ist seine Stellung zu der Roswitha- und Nibelungen-Frage. Unter dem Namen der gelehrten Nonne Roswitha von Gandersheim besitzen wir bekanntlich eine Anzahl lateinischer Komödien, welche Heiligenlegenden behandeln. Vor einigen Jahren hat nun ein Wiener Gelehrter, Aschbach, nachzuweisen versucht, dafs diese Komödien eine grofsartige Fälschung sind, und ihr eigentlicher Verfasser der berühmte Humanist Konrad Celtes ist. Hirsch tritt dieser Hypothese in vollstem Umfange bei, die Aschbach vornehmlich auf stilistische und sprachliche Gründe gestützt hat. Man braucht in der That nur die Inhaltsangabe jener, trotz der darin auftretenden Heiligen, höchst bedenklichen Komödien zu lesen, um sich zu sagen, dafs in diesem Tone allenfalls ein Humanist der Renaissance, nicht aber eine Nonne im alten Sachsenland zur Zeit Kaiser Ottos I. dichten konnte. Allerdings hat man gerade deshalb oft ein Langes und Breites über Roswithas Naivetät und die Unbefangenbeit jener frühen Zeiten geschrieben, allein das sind im Grunde doch nur Phrasen, die das Unerklärliche erklären sollen.

Eignet sich Hirsch hier die scharfe moderne Kritik an, so macht er beim Nibelungenliede dagegen Front und tritt der Lachmannschen Anschauung, als sei das grofse Epos wie durch ein Wunder aus allerhand Volksballaden zusammengewachsen, entschieden entgegen. Lachmanns Versuch hatte bekanntlich den vornehmsten Zweck, der berühmten Theorie F. A. Wolffs über die Entstehung der homerischen Epen etwas Gleichwertiges an die Seite zu setzen. Müllenhoff, der Schüler Lachmanns, hat dann dasselbe für die Gudrun unternommen. Schade, dafs nicht noch ein Epos vorhanden war, an dem man seine Kunst hätte üben können. Unsere grofsen Dichter wollten schon von Wolffs Ansichten nichts wissen. Wir meinen, dafs ein Dichter in dieser Beziehung doch noch mehr versteht als ein Kritiker. So gut wie man bei Homer und den Nibelungen den individuellen Dichter wegdisputiert, könnte man auch Firdusi in die Mythologie verweisen. Sehr richtig macht Hirsch darauf aufmerksam, wie, wenn es genügte, Widersprüche und stilistische Ungleichheiten aufzufinden, ein Lachmann der Zukunft vielleicht noch zu dem Schlusse kommen wird,

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