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Grundverkehrt wäre es, wenn das Gymnasium auf irgend einem Studienge= biet nach einer gewissen Vollständigkeit des Wissens, nach einem Abschluß streben wollte. Vollständigkeit ist überall kein pädagogisches Prinzip, es ist ein Grundsatz der Wissenschaft. Pädagogisches Prinzip ist das der richtigen Auswahl, und diese Auswahl muß im Gymnasium darauf gerichtet sein, daß sie dem Schü= ler den Antrieb gibt, von Zielen, die er hier erreicht hat, weiter zu dringen. Der Gymnasialunterricht muß wissensbegierige, nicht wissenssatte junge Leute zu schaffen

suchen.

Ebenso verwerflich, wie das Streben nach Vollständigkeit und Abschluß wäre das nach möglichster Erleichterung. Wir leben heutzutage unter dem Zeichen. des Verkehrs, und das Ideal des Verkehrs ist der höchste Grad von Leichtigkeit, der geringste von Zeitaufwand. Sollte dem entsprechend aber Jemand als Ideal des Gymnasiums bezeichnen, daß der Reifeschein in kürzester Zeit und mit dem geringsten Aufwand von Schweiß erlangt werden könnte, so hätte er nicht ein Idealbild, sondern eine Karikatur des Gymnasiums gezeichnet. Ausbildung der Fähig= teit, geistige Anstrengungen zu ertragen und energisch und gewandt zu überwinden, Weckung des Triebes, sie auf sich zu nehmen, das sind Aufgaben des Gymnasiums, das Ziel auf geistigem Gebiet, das dem durch die Gymnastik zum Frommen der körperlichen Entwicklung verfolgten entspricht.

Eine dritte Forderung, die an die gymnasiale Erziehung zu stellen, ist die Ausbildung des Sinnes auch für das Wissen und die Wahrheit, welche keinen Marktwert haben, die Weckung des Gefühls, daß die wissenschaftliche Forschung an sich ohne Rücksicht auf praktische Verwendbarkeit eine in hohem Grade würdige Aufgabe des Menschengeistes sei. Man hat früher gern die entgegengesezte Richtung mit dem Ausdruck Amerikanismus bezeichnet. Seitdem in den Vereinigten Staaten wissenschaftliche Forschung auch auf solchen Gebieten immer reicher aufblüht, welche Zinsen in des Wortes gewöhnlicher Bedeutung nicht tragen, wie auf denen der klassischen Philologie und Archäologie, seitdem ist diese Bezeichnung nicht mehr berechtigt, aber die bezeichnete Denkrichtung ist nicht ausgestorben, und ihr gegenüber hat insbesondere auch das Gymnasium die Pflicht, seinen Zöglingen den Wert jener idealen Bestrebungen klar zu machen.

Eng verbunden aber mit der Weckung des wissenschaftlichen Sinnes ist die den Gymnasien als Vorbereitungsstätten für die Universitäten zufallende Aufgabe, den jugendlichen Geist auf das Warum und auf quellenmäßige Erkenntnis zu lenken. Hierin liegt einer der Gründe für die auf den Gymnasien geltende Art der Beschäftigung mit dem klassischen Altertum. Wer wollte leugnen, daß ein gewisses Verständnis des Altertums und der Gegenwart aus dem Altertum auch auf andere Art zu gewinnen, daß ein gewisser (unter Umständen ein großer) Genuß antiker Literaturwerke auch durch übersetzungen zu erzielen ist? Die altklassischen Gymnasialstudien aber unterscheiden sich von solcher Kenntnisnahme nicht blos dem Grade, sondern dem Wesen nach: nicht nur dadurch, daß sie eine tiefere Einsicht in die antite Kultur, ein genaueres Verständnis der alten Literatur vermitteln, sondern zugleich dadurch, daß sie den Schüler sich die Kenntnisse von alter Literatur Das humanistische Gymnasium 1897. II.

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und Kultur erarbeiten lassen durch Zurückgehen auf die Quellen und durch Vertrautwerden mit der Quelle, aus der uns am reichsten Kenntnis des Denkens und Fühlens der Völker wie der Einzelnen fließt, mit ihrer Sprache. Solcher Arbeit ist das Empfangen der antiken Gedanken aus Übertragungen und modernen Darstellungen ebenso wenig pädagogisch als wissenschaftlich gleich zu achten. Die pädagogische Gleichwertigkeit beider Verfahrungsweisen zu behaupten ist in der That nicht minder verkehrt, als wenn man sagen würde, es sei für den Schüler gleich bildend, ob man ihm die Lösung mathematischer Aufgaben giebt oder sie von ihm verlangt.

Und soll das Streben geweckt werden, zu den Quellen des Wissens, unter die Oberfläche, auf den Grund zu gehen, so ist damit die Notwendigkeit einer Bevorzugung bestimmter Unterrichtsgebiete rücksichtlich der auf sie zu verwendenden Zeit gegeben. Je größer die Zahl der Lehrfächer und je gleichmäßiger die Ausdehnung der einzelnen, desto mehr wird naturgemäß der Geist der Schüler auf der Oberfläche bleiben. Eine Anstalt, welche alle Lehrfächer, die im Gymnasium Aufnahme gefunden, und etwa auch noch die, die an seine Pforte pochen, in gleicher Weise berücksichtigen wollte, würde eine Musteranstalt sein zur Erziehung von Dilettan=

ten.

Endlich möchte ich eine Forderung berühren, die das angeht, was wir von der Universität empfangen. Die wissenschaftliche Vorbildung der Lehrer auf der Hochschule ist viel besprochen. Mit Unrecht ist meines Erachtens oft geklagt, daß die Universitätsstudien der Lehramtskandidaten nach der Gestaltung, die jenen durch die Hochschullehrer meist gegeben wird, zu gelehrt seien, daß den Gymnasien die Einführung ihrer künftigen Lehrer in die wissenschaftliche Forschung mehr Schaden als Nußen bringe. Zum Beweis werden dann einzelne Gründlichstgelehrte vorgeführt, deren pädagogische Erfolge null gewesen. Aber nicht ein Zuviel von Gelehrsamkeit trug und trägt hier die Schuld, sondern das Zuwenig von pädago= gischer Begabung oder Anleitung. Die nahe Berührung mit der wissenschaftlichen Forschung und die Beteiligung an ihr gewährt den Lehrern der Gymnasien nicht nur persönliche Befriedigung und Förderung, sondern ist zugleich für ihr pädagogisches Wirken von hohem Wert. Wer zur selbständigen Erfassung der Wissenschaften zu erziehen hat, sollte selbst doch zu einem Gebiet der Wissenschaft im Verhältnis nicht bloß des Empfangenden stehen.

Wenn das Gymnasium den genannten Forderungen entspricht, so erfüllt es seinen Zweck, und das deutsche Gymnasium darf sich dessen rühmen. Ich denke hierbei nicht an die genialen Männer, die es besucht und für seine Unterrichtsgestaltung ausdrücklich Zeugnis abgelegt haben. Helmholz that es auf der Berliner Conferenz, indem er sagte, daß er als das beste Mittel, um die beste Geistesbildung zu erzielen, nur das Studium der alten Sprachen betrachten könne. Aber wer wollte behaupten, daß ein Helmholz seine bahnbrechenden Werke nicht geschaffen hätte, wenn er kein Gymnasium besucht? Er ist für den Wert der Gymnasialbildung ebenso wenig ein zwingender Beweis, als hervorragende Forscher, die ein Gymnasium nicht besucht, den Unwert dieses Studienganges beweisen. Anders steht es mit

der Thatsache, daß die große Menge derer, die den sogenannten gelehrten Berufsarten angehören, in wissenschaftlicher Beziehung bei uns entschieden höher steht als im Ausland. Diese Thatsache ist zweifellos zum guten Teil ein Verdienst der deutschen Gymnasien.

Ich habe von den humanistischen Lehranstalten als Vorbereitungsschulen für die Universitäten gesprochen. Sollen wir aber nicht auch der Zöglinge des Gymnasiums gedenken, die aus ihm nicht in die Hochschule übertreten?

Man hört häufig klagen, daß die humanistischen Schulen durch Aufnahme nicht dahin gehöriger Schüler überfüllt seien. Auch an die ist dabei bisweilen gedacht, welche aus den Kreisen der Nichtstudierten, zum teil aus ganz unbemittelten Familien in das Gymnasium eintreten und nach seiner Absolvirung ein Facultätsstudium ergreifen. Solche Schüler aus dem Gymnasium wegwünschen zeigt starken Mangel nicht bloß an Menschenfreundlichkeit, sondern auch an Verstand, ein Vergessen der Thatsache, daß aus diesen Knaben sich häufig die hervorragendsten Männer entwickelt haben, ein Vergessen auch des Wertes, den solche (man gestatte den Ausdruck) self-made boys für die Übrigen haben, die an Jenen sehen, was fester Wille troß mannigfacher Hindernisse vermag. Noch häufiger aber hat man bei den Überfüllungsflagen die im Auge gehabt, welche nicht die ganze Anstalt absolvieren oder nach Erlangung der Maturität doch nicht einen sogenannten gelehrten Beruf ergreifen. Man hat sich in Ausdrücken überboten, welche die von Solchen empfangene Vorbildung für ihren Lebensweg als höchst verfehlt bezeichnen. Ich denke, wir lassen auch hier die Thatsachen reden, die Thatsache des Erfolges, den auch solche Zöglinge der Gymnasien in ihrem Beruf gehabt, und die Thatsache der Gesinnung, die sie gegenüber ihren Vorbildungsanstalten hegen. Es sind nicht wenige der Art auch Teilnehmer dieses Festes, und sie bezeugen durch ihre Anwesenheit, daß sie der Anstalt etwas zu schulden glauben. Sie haben sicher nicht die Empfindung, daß die von ihnen einst eingeschlagene Schullaufbahn für sie ein schädlicher Abweg war, sondern höchstens die, daß sie einen Umweg gemacht, aber einen Umweg, der ihnen auch manches Gute gebracht. Die Gymnasien werden solche Schüler künftig in geringerer Zahl haben, sie werden mit den Schülerzahlen der einzelnen Klassen nicht mehr das Bild einer Pyramide, sondern das eines Obelisken gewähren; aber fehlen werden in den humanistischen Anstalten solche Schüler wohl niemals, und auch ihr Fernbleiben würden diese Schulen keineswegs mit Recht wünschen. Vielmehr wollen wir uns freuen, wenn auch fernerhin in den Reihen der tüchtigen Militärs, Techniker, Kaufleute und Gewerbetreibenden manche sich befinden, die ihre Vorbildung in einem Gymnasium erhalten haben. Es wird ein Beweis mehr dafür sein, daß wir nicht zu unpraktischen Menschen erziehen.

Nur das Eine wird allezeit gefordert werden müssen, daß um derer willen, die nicht zu Universitätsstudien streben, der Lehrplan und das Lehrverfahren der Gymnasien keine Aenderung erfahre, daß aus dem Gymnasium nicht in nivellirender Weise eine Schule für alle Berufsgattungen gemacht werde. Denn eine Lehranstalt, die gleichermaßen Allen dienen will, wird keinem recht dienen. —

Daß aber auch andere Gründe nicht bestehen, um an den Grundzügen des

Lehrplans unserer Gymnasien zu rütteln, so verbesserungsfähig er im Einzelnen gleich jeder menschlichen Einrichtung noch sein mag, - diese Meinung ist in den gebildeten Kreisen des deutschen Volkes ungleich mehr verbreitet, als manche zu behaupten lieben. Als 1888 gegenüber einer Literatur, die zum großen Theil nicht sowohl pädagogisch als pädodemagogisch genannt zu werden verdient, weit= hinbekannte Männer aus den verschiedenen Fakultäten unserer Universität die Er= klärung abgaben, daß die fortgesezten Anklagen gegen die humanistischen Gymnasien in Deutschland in entschiedenem Widerspruch mit der Wirklichkeit stehen und daß auf der Einrichtung dieser Anstalten zum guten Teil die Blüte deutscher Wissenschaft und die Tüchtigkeit einer ganzen Reihe wichtigster Berufsklassen beruhen, da zeigte die Zustimmung, die diese Erklärung in den verschiedensten Berufskreisen und in ganz Deutschland fand, wie vieler und wie bedeutender Männer Ueberzeu= gung hier thatsächlich zum Ausdruck gelangt war. Und als im Jahr 1890 der Organisation der Gymnasien schwere Gefahr zu drohen schien, da erließen zahlreiche Professoren von 12 Universitäten Deutschlands Erklärungen in conservativem Sinn, wohl mit dem berechtigten Gedanken, daß, wenn die Propyläen erstürmt werden sollten, auch der Parthenon fallen würde.

Insbesondere in Baden aber erfreuen sich die Gymnasien der wärmsten und segensreichsten Huld unseres allergnädigsten Herrn. Die Besserungen, welche in den letzten Jahrzehnten an der Einrichtung der humanistischen Lehranstalten vorgenommen sind, und ebenso das Festhalten an den altbewährten Grundlagen entsprechen den persönlichen Anschauungen unseres allverehrten Fürsten. Als_leuchtender Beweis der Wertschäßung, die Se. Kgl. Hoheit für den Unterricht der Gymnasien hegt, steht uns vor Augen, daß die beiden Söhne unseres erlauchten Herrscherpaares diesen Weg der Vorbildung gegangen sind. Ebenso erfahren die badischen Gymnasien die wohlwollendste und einsichtsvollste Fürsorge von Seiten der Unterrichtsverwaltung, vor Allem von dem hochverdienten Mann, der zur herzlichsten Freude des badischen Landes jezt schwere Krankheit glücklich überstanden hat.1) Wie sehr aber die Stadt Heidelberg unser Gymnasium schäzt, wie sie auch für diese von Anfang an staatliche Bildungsstätte Herz und Hand offen hat, das haben wir gerade auch in den Tagen der Vorbereitung für unser Fest reichlich Gelegenheit gehabt in erfreuendster Weise zu erfahren.

So sehen wir denn auch der Zukunft mit froher Zuversicht entgegen. Man spricht mit einem den westlichen Nachbarn entlehnten, bis zum Überdruß wiederholten Ausdruck von Erscheinungen am Ende dieses Jahrhunderts als von bemerkenswerten Neuheiten; man erträumt sich von dem 20. Jahrhundert Dinge, die von allem Gewohnten noch viel weiter abliegen. Wir fürchten uns weder vor dem Ende des alten, noch vor dem Anfang des neuen Jahrhunderts. Wir haben den Glauben: was auf festem Grund ruht und von denen, die es wahren sollen, rüstig verteidigt wird, bleibt stehen, und was taugt, wird im Kampfe tüchtiger. Insbesondere unsere Anstalt darf wohl im Rückblick auf die Geschicke, die sie erlebt und über=

1) Staatsminister Dr. Rott.

wunden, den Glauben an die Dauer ihres Bestehens und an die Wahrung ihres Charakters hegen. In einer der uns zugekommenen freundlichen Begrüßungsurkunden, der vom Eberhard-Ludwigs-Gymnasium in Stuttgart, heißt es von Rektor und Lehrern dieser Anstalt: gymnasio Heidelbergensi artium humaniorum studia septuaginta lustris per atrocissimas bellorum tempestates vehementissimasque doctrinarum contentiones propagata, adaucta, defensa gratulantur. In der That, Krieg und Pestilenz, gelehrten und ungelehrten Zank hat es überdauert und ist dem Zweck, den sein Stifter im Auge hatte, treu geblieben und wird es, so Gott will, bleiben. Als ein Symbol seiner Festigkeit mag uns der festgefügte Bau gelten, der es jetzt beherbergt.

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Wenn unser Gymnasium das 4. Jahrhundert seines Bestehens zurückgelegt haben wird, werden die Männer, die in diesem Saal versammelt sind, wohl nahezu alle für immer ihre Augen geschlossen haben. Auch von diesen Jünglingen und Knaben wird mancher schon das Ende seiner irdischen Laufbahn erreicht haben. Aber manche von ihnen werden, so dürfen wir hoffen, das Fest des Jahres 1946 sehen, wie unter den jezigen Festteilnehmern mancher auch die Feier vom Jahre 1846 mitbegangen hat. Diesen uns andere Überlebenden möchte ich hier einen Gruß an die Festgenossen der Zukunft auftragen und den Wunsch aussprechen, daß es nach 50 Jahren heißen kann: die Schüler des Heidelberger Gymnasiums haben sich in den letzten Jahrzehnten wohlgerüstet gezeigt für Ergreifung wissenschaftlicher Studien, sie waren aber zugleich in den vordersten Reihen zu finden, wo es die Aufgaben galt, für die alle Schulen anleiten sollen: die Bethätigung des Sinnes für das wahrhaft Schöne in Kunst und Litteratur, das begeisterte, opferwillige Mitwirken zur Erreichung der nationalen Ziele, die treue Erfüllung der religiösen und sittlichen Pflichten. Das walte Gott!"

Auf diese Ansprache folgte eine größere Reihe von Begrüßungen. Herr Geheimerat Dr. Arnsperger, Direktor des Großh. Oberschulrats, sprach die Glückwünsche des Unterrichtsministers und der Oberschulbehörde aus. Er hob als besonders be= deutsam hervor, daß unsere Anstalt von ihren kleinen Anfängen bis zu ihrer heutigen Blüte den bei ihrer Gründung aufgeprägten Charakter einer humanistischen Lehranstalt stets treu bewahrt und die ihr hiermit gestellte Aufgabe im Sinn ihrer Stiftung bis auf die neueste Zeit getreulich erfüllt habe, und sprach die feste Überzeugung aus, daß sie auch in Zukunft, ohne sich einer Berücksichtigung der Zeitverhältnisse und Zeitbedürfnisse zu verschließen, ihre Schüler vornehmlich auf Grund des Studiums der altklassischen Sprachen und Schriftsteller und durch Einführung in das Geistesleben der antiken Welt zum selbständigen Erfassen der Wissenschaften auf der Universität tüchtig vorbereiten werde.

Der z. Prorektor der Universität, Kirchenrat Prof. D. Bassermann, sprach im Namen der Hochschule tiefberührende Worte. Was die Universität erstrebe, würde unerreichbar sein ohne die Vorarbeit, welche ihr das Gymnasium leiste. Und

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