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Achtzehnter Brief.

Die neuere poetische Literatur der Italiener.

III. Der Roman.

Bis zu den neuern Zeiten haben, seltsamer Weise, die Italiener keinen Roman gehabt. Die Stelle desselben vertraten bei ihnen jene Novellen, die gewissermaßen mit der Sprache selbst entstanden, im Decameron ihre höchste Vollendung erlangten, im 16. Jahrhundert durch Bandello und Firenzuola von neuem gehoben wurden und auch jezt noch so populär und in ihrem Styl und Wesen dem Italiener so natürlich sind, daß Erzählungen, die vor etwa fünfzig Jahren von einem jezt noch lebenden Florentiner geschrieben wurden, für ein Product des 16. Jahrhunderts galten, bis der Verfasser selbst seine Autorschaft bekannte. Im Vorbeigehn gesagt, die Novellen sind im Ganzen überschäßt worden. Es kann mir nicht beifallen, das Anziehende vieler dieser kleinen Erzählungen, die sinnreichen Einfälle, die Mannigfaltigkeit der Erfindung, die übrigens in nicht wenigen Fällen auf

ältere und fremde Quellen sich zurückführen läßt, die wirksame Komik und die Anmuth der Darstellung bei jenen großen Meistern in Zweifel ziehn zu wollen. Aber da man immer fortfuhr Novellen zu schreiben, so wurden die Erfindungen allmälig verbraucht; die nämlichen Situationen kehrten mit geringen Varianten wieder, die Kunst der Darstellung, welche allein dies Genre halten kann, nahm ab. Wie manche jezt noch als Muster angepriesene und durch Uebersesungen ins Ausland eingeführte Novellen erscheinen schleppend und matt und schwerfällig, was in solchem Falle um so weniger zum Verwundern ist', da sie durch die Uebersehung, sie mag noch so ge= wandt und sorgfältig sein, nicht selten das Einzige einbüßen, was sie im Original anziehend macht, die schöne, in den größten Feinheiten sich entwickelnde Sprache. Ich will gar nicht einmal von ihrer größten Schattenseite reden, dem endlosen Wiederkehren eines Lieblingsthema's, welches viele der am besten erzählten Geschichten in solchem Maße frivol, ja unanständig macht, daß man kaum begreift, wie sie in Italien so häufig in Frauenhänden angetroffen werden. Man wird, so hoffe ich, mir diese Bemerkungen nicht als Prüderie auslegen. Die Novellen also vertraten bis zu unserer Zeit in der italienischen Literatur die Stelle des Romans. Als man endlich zu legterem sich wandte, veranlaßten dazu fremde Einflüsse. Diese sind bei den verschiedenen Werken offenbar, welche die neue Richtung angaben. Die Ultime Lettere di Jacopo Ortis von Ugo Foscolo, worauf ich später noch zurückkommen werde, verdanken ihr Dasein dem Werther; Vincenzo Cuoco's Platone in Italia hat sein Vorbild im Anacharsis, ist aber voll Anspielungen auf neuere

Verhältnisse, denen das Glück, welches das lebendig geschriebene Buch gemacht hat, großentheils zuzuschreiben ist.

Als, nach langer Ruhe, der erste eigentlich historische Roman erschien, konnte es Niemanden verborgen bleiben, daß die Anregung vom Waverley und seinen Brüdern ausgegangen war. Aber dieser erste Versuch hatte eine so nazionale Färbung, sprach so warm zum Herzen des Italieners, nahm, indem er eine nicht zu ferne liegende Zeit zum Gegenstande wählte, sein heimatliches Interesse so sehr in Anspruch, führte ihm die Berge und Ebnen, die Seen und Städte seiner schönen Lombardei so lebendig vor, daß man kaum an seinen halbfremden Ursprung dachte. Jeder erräth, daß ich von den Promessi sposi rede. Der Umstand, daß nun zum drittenmale schon, beim Roman wie bei der Lyrik und dem Drama, der Name Manzoni's in erster Reihe genannt wird, zeigt hinlänglich, welchen außerordentlichen Einfluß dieser Mann auf die Gestaltung seiner vaterländischen Literatur geübt hat, die er nicht selten, im Auslande namentlich, fast allein repräsentiren muß. Sein Buch ward mit lautem, anhaltendem Jubel begrüßt, der in allen Theilen der Halbinsel ein Echo fand, ja, in den ganz Europa einstimmte, und der auch jezt nicht verklungen ist, obgleich es beinahe zwanzig Jahre zählt für einen Roman ein hohes Alter. In Italien aber veralten überhaupt Bücher nicht so rasch. Die Reinheit der Gesinnung, die poetische Zartheit und Anmuth, das Eindringen in die innersten Seelenzustände, welche wir in Manzoni's Dichtungen finden, sind in dem Roman mit einer nicht selten überraschenden Kraft und Sicherheit der Darstellung gepaart, mit epischer Fülle, mit malerischer Anschaulichkeit, mit bestimmter,

sprechender Charakteristik der Personen wie der ganzen Epoche. Mir wurde dies recht klar, als ich manche der Localitäten besuchte, zu denen die Promessi sposi führen, und besonders als ich an der Porta orientale von Mailand vor dem Lazareth stand, dieser ehemaligen Wohnung des Schreckens und Elends, die in dem Buche so grafisch beschrieben ist. Wenige Städte Italiens haben so viele Umwälzungen erfahren wie Mailand; durch den Barbaroffa zerstört, vom Ende des 15. Jahrhunderts an, als Lodovico il Moro die Fremden ins Land rief, Jahrzehnde lang eine Stätte der Verwüstung, hinschmachtend dann unter dem schweren spanischen Joch, ist in unsern Tagen die Stadt neu aufgelebt, durch ihre Bedeutung erst als Metropole des italischen Königreichs begünstigt vor allen andern Städten des Landes, begünstigt von neuem als Hauptstadt der Lombardei durch die Segnungen des langen Friedens, welche Industrie, Handel, Wohlstand unendlich förderten. Damit erwachte die Baulust, und Mailand ist in vielen Theilen eine regelmäßige, durch= aus neue, glänzende, gepugte Stadt geworden, in der man kaum erinnert werden würde an die Zeit des lombardischen Bundes und an die Herrschaft der Visconti, stieße man nicht hie und dort auf eine mittelalterliche Kirche, oder blickten nicht die Marmorspigen des Doms und der Thurm von S. Gottardo über die modernen Bauten weg. Und gerade am Ende des brillantesten, allermodernsten Theiles der Stadt, wo an Nachmittagen tausend reiche Equipagen auf- und abfahren, liegt jenes Lazareth, ein gro ßes Viereck, durch mehr denn zweihundert einstöckige, niedere Wohnungen gebildet, die, ununterbrochen aneinandergereiht, den innern hof umgeben: jest der Auf

enthalt vieler aus der ärmern Classe, im J. 1630 ge= füllt mit Tausenden, die an der gräßlichsten der Krankheiten darniederlagen.

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Um nur an Eine der Charakterschilderungen in den Promessi sposi zu erinnern, nenne ich Friedrich Borromeo, den Nachfolger und Erben der Tugenden seines Vetters Carl, den die katholische Kirche zu ihren Heiligen zählt, vom Dichter mit offenbarer Vorliebe gezeichnet, aber nicht in Allem der Geschichte getreu, indem einzelne Züge, die dem ältern Borromeo gehören, auf den jüngern übertragen worden sind. Um nur Eine der Episoden namhaft zu machen, bezeichne ich die Geschichte der Nonne von Monza, ein ergreifendes Gemälde der Verirrungen des menschlichen Herzens, das weder in äußern Verhältnissen, noch im innern Leben Befriedigung findet. Man hat mit Recht darauf hingedeutet, daß Manzoni, wenn es ihm auch zu Zeiten geschieht, daß er die Menschen besser vor uns hinstellt, als Zeiten und Umstände rechtfertigen, dennoch mit weiser Mäßigung wie mit immer seltner werdender Kunst Uebertreibungen zu meiden gewußt hat; daß er die Steigerungen der Affekte in den meisten Fällen mit psychologischer Wahrheit be= obachtet; daß er das Chargiren der Charaktere, welches ebenso leicht ist wie unkünstlerisch und höchstens Sand in die Augen streut, strenge abgewiesen hat. Was seine Grundsäge betrifft, so hat er selbst irgendwo bemerkt, wie die trivialen Marimen von Lebensüberdruß und Selbstmord, die rhetorischen Declamationen über Freiheit und Liebe und Ehe und andere ernste Dinge, durch das Theater verbreitet und vom Theater in die Gesellschaft überge= gangen, die Unzuläßigkeit der Aufstellung des Abstracten

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