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Ermessen über die Schranken des Gesetzes hinaus Gebrauch gemacht hat, ob er z. B. § 106. die Kinder in Fabrikbezirken zum Teil vom Schulbesuch dispensieren durfte 1). Sodann die Rechtmässigkeit einer bestimmten Verfügung, z. B. ob im gegebenen Falle die geleistete Staatssubvention an einer Schule nicht gegen das Gesetz erteilt ist; ob der Schulzwang für gewisse Kategorien von Kindern zum Teil gemildert werden durfte u. a. m. Aber auch über die Zweckmässigkeit einer Verordnung oder Verfügung wird vom Committee of Public Accounts geurteilt. So heisst es an einer Stelle: ob in dem gegebenen Falle die Verordnung dem Gesetze entspreche, sei zweifelhaft, aber jedenfalls wäre sie zweckmässig. (Whether the Department have acted in accordance with the second condition of the Article 19 B.. (sc. des „Code") is open to doubt... but . . . the Department were justified in the action they have taken, Handbook I 362 Nr. 38.)

Vor allem wird im Committee of Public Accounts, und das ist gegenüber der kontinentalen Entwicklung besonders festzuhalten, darauf auch gesehen, dass die Verwaltung sich auch immer an die selbsterlassene Verwaltungsordnung halten muss. („The Committee cannot admit any discretion of the Department to override clear and express words of the Code", Handb. I 410 Nr. 10.) Aber nicht bloss auf dem Gebiete der Unterrichtsverwaltung, auch auf dem der Steuerverwaltung wacht das Committee of Public Accounts, ob die Steuererhebungspraxis dem Gesetz gemäss erfolgt 2), ob die bisher im allgemeinen gewährten Stempelsteuernachlässe zulässig waren, ob eine Steuerverfügung im einzelnen zulässig war u. a. m. So wurde im Jahre 1897 von der Steuerbehörde 3) das in der Bank von England befindliche Vermögen des russischen Zaren von der Erbschaftssteuer frei gelassen mit Berufung auf die comitas gentium, das Völkerrecht. Das Committee of Public Accounts hält diese Verordnung prinzipiell für gesetzwidrig, beruhigt sich aber schliesslich dabei. Die gleiche Kontrolle von Verordnungen und Verfügungen der Zentralbehörde besteht auf dem Gebiete des Besoldungswesens der bewaffneten Macht, der Kolonialverwaltung, der Justizverwaltung, der Selbstverwaltung (Local Government). So wurde auf dem Gebiete der Selbstverwaltung z. B. eine Verfügung des Ministeriums geprüft, welche eine Lastenverteilung zwischen Zentral- und Lokalverwaltung vornahm. (Kosten eines Quarantänereinigungsapparats für die Stadt Cardiff. H. I 499 Nr. 16).

2) Die direkte Beeinflussung der Verwaltung insbesondere zum Erlass von Verwaltungsregulativen.

Es ist klar, dass die Kontrolle des Staatssäckels, wie sie in den Händen des Unterhauses bezw. seines Repräsentanten des Committee of Public Accounts, ruht, zu einer entscheidenden Beeinflussung der gesamten Staatsverwaltung führen muss. Dazu kommt noch, dass spezielle Sachverständige in den Komitees sitzen, die entsprechend der englischen Neigung zu Details und Spezialistentum, jahraus jahrein, der eine der Flotte, der andere der Armee, der dritte der Unterrichtsverwaltung u. a. m. seine besondere Aufmerksamkeit schenkt und alle die Entscheidungen des Committee of Public Accounts für sein spezielles Arbeitsgebiet kennt.

Vor diesem Rate muss sich die Zentralverwaltung rechtfertigen, insbesonders geschieht diese Verantwortung zuerst durch den sog. Accounting officer, d. h. den Rech

1) Handbook (in folgendem kurz H. zit.) I. 501 Nr. 35; 435 Nr. 43/44. II. 221 Nr. 11-17. III. 40 Nr. 40; 99 Nr. 44.

2) H. III. 331 Nr. 20. III. 110 Nr. 20 und 29.

3) H. III. 273 Nr. 11-19; III. 273 Nr. 19.

§ 106. nungsbeamten des Zentraldepartments. Verantwortlich ist allerdings nur der Chef des letzteren (the head of the Department). Das Komitee prüft vor allem die Verträge (contracts) der Verwaltung (Remontenverträge, Bauverträge u. a. m.) 1); es sieht ferner darauf, dass die Regierung keine Staatsansprüche und -Forderungen unnötig aufgäbe (die sog. claims) 2). Nichts entgeht dem Komitee, nicht einmal die Tatsache, dass beispielsweise die Asche in dem Militärarsenal um billigeres Geld verkauft wird als der Marktpreis ist, wie dies im Public Accounts-Committee von 1902 zur Sprache kam. Da werden der Verwaltung von seiten des Komitees Ratschläge erteilt. Werden diese nicht befolgt, dann wird gewiss dem Unterhaus davon Mitteilung gemacht 3). Bei dieser Gelegenheit wird auch die Anregung zu wichtigen Verwaltungsregulativen und zu gesetzgeberischen Massnahmen gegeben. So sind z. B. auch die Verbesserungen in der alten Merchant Shipping Act von 1855, wonach auch die aus Ausländern bestehende Mannschaft eines englischen Schiffes mit einer Pension versorgt werden soll (foreign Seamen) entstanden ) und die Verwaltung des Mercantile-Marine-Fund auf dem Wege solcher Komiteevorschläge verbessert worden 5) u. a. m.

3) Der Einfluss auf die Beamtentätigkeit erfolgt, wie bereits gesagt, durch Regulierung der Beamtengehälter und Pensionen und durch Aufsicht über die regelrechte Besetzung der Aemter.

Was den ersteren Punkt anlangt, so wird noch weiter unten gezeigt werden, wie das Schatzamt vermöge der Besoldungs- und Pensions-(,,Superanation") Gesetze ein weitgehendes Ermessen hat, um die Beamtenbesoldung zu bestimmen, gute Beamte zu belohnen und schlechte zu strafen. Die Ausübung dieses Ermessens erfolgt meist durch Aufstellung von Regulativen, die als Orders in Council gewöhnlich ergehen. Dieselben haben u. a. auch Vorschriften, wonach im einzelnen Falle einem Beamten die Besoldung zum Teil oder ganz versagt wird, zum Inhalt. Sie bestimmen ferner für die einzelnen Verwaltungszweige die Zeit des Uebergangs in den Ruhestand und die besonderen Pensionsvorschriften. Auf Grund dieser Verordnungen erlässt dann die Treasury im einzelnen Falle die Verwaltungsverfügung, ob und in welchem Masse einem Beamten die Besoldung gewährt, die Pension gezahlt werden soll. Die oberste Entscheidung über die Gesetzmässigkeit dieser Verordnungen und Verfügungen der Treasury steht nun dem Committee of Public Accounts zu 6), welches darüber an das Haus berichtet, wenn es dies für nötig hält. Man sieht eine grosse Verantwortung für regelmässige Beamtentätigkeit ist so in die Hände des Unterhauskomitees gelegt.

Aber auch über regelrechte Besetzung der Aemter wacht das Komitee. Jeder Staatsbeamte, Civil Servant muss nach den seit 1870 ergangenen Gesetzen und Verordnungen ein staatliches Prüfungszeugnis vorlegen, das „Civil Service Certificate". Damit wurde nach der früheren willkürlichen Patronagewirtschaft der Aemter eine reguläre Amtsbesetzung nach persönlicher Qualifikation, die durch die Civil Service Comission

1) H. III. p. 38 Nr. 32-36, p. 245 Nr. 6.

2) H. I. 182 Nr. 61; 329 Nr. 25; 361 Nr. 34; 435 Nr. 48. III. 273 Nr. 11-19. 3) Die technische Formel der Mitteilung an das Haus lautet, wenn die Verwaltungsbehörde den Ratschlag befolgt: „Your Cie are glad to learn that the recommendations. have been adopted". Im entgegengesetzten Fall: Your Cie regret to learn, that the recommendations . . . have not been adopted". S. z. B. H. I. 503 Nr. 44.

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4) H. III. p. 38 Nr. 29; p. 198 Nr. 19-21. II. p. 160 Nr. 18; p. 220 Nr. 3-4. 5) H. I. p. 527 Nr. 31. II. p. 4 Nr. 14; p. 74 Nr. 39; p. 134 Nr. 39; p. 161

Nr. 16; p. 220 Nr. 2. III. p. 38 Nr. 29.

6) H. III. p. 195 Nr. 12; p. 37 Nr. 27; p. 202 Nr. 41/42. Die Anwendbarkeit einer der hier in Frage kommenden Orders auf gewisse Beamtenklassen; III. 32 Nr. 1–11. Frage der Gehaltsregulierung s. Index zum Handbook vo salary".

geprüft wird, vorgesehen (s. darüber unten IV. Tl. Kap. Amtsrecht). Wenn nun ein § 106. Beamter ohne solches Zertifikat angestellt wird und die Zentralverwaltung neigt

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gerne selbst heute noch zu einer solchen Patronage dann wird dies dem Komitee von dem Comptroller General angezeigt, der alljährlich eine Liste der Beamten aller Verwaltungszweige und der neuangestellten mit dem Vermerk, ob sie mit oder ohne Zertifikat angestellt sind, erhält. Das Komitee entscheidet 1) nun, wo es eine Anstellung ohne Zertifikat entdeckt, dass der so angestellte Beamte seines Dienstes enthoben werden soll (that the service should be discontinued").

4) Auch die Reorganisation von Aemtern unterliegt der Prüfung des Committees of Public Accounts.

Wenn in einem Zweig der Zentralverwaltung eine neue Anstellung notwendig wird, wenn die Sektion eines Departements mit einer andern vereinigt oder von ihr getrennt werden soll, so wird immer vom Chef der Zentralverwaltung die Zustimmung des Schatzamts (der Treasury) verlangt. Ist dies nun ausserdem wie gewöhnlich mit Geldkosten verbunden, so wird ein neuer Posten in den Estimates, dem Staatsvoranschlag, angesetzt und das Committee of Public Accounts gibt dann bei Jahres- und Rechnungsabschluss den endgültigen Entscheid darüber, ob das neukreierte Amt nicht überflüssig war, ob die Reorganisation nicht misslich war u. s. f.

II. Aber auch das Parlament selbst übt eine Verwaltungskontrolle, insbesondere in bezug auf Regierungs- und Ministerialverordnungen. Eine reiche Nuancierung der Art, wie solche Verordnungen zur Willensteilnahme des Parlaments vorbereitet werden, ist vorhanden. Im allgemeinen lassen sich wohl vier Stufen parlamentarischer Willensteilnahme an den Verwaltungsverordnungen feststellen.

1) Die Verordnung muss auf den Tisch des Hauses gelegt werden, z. B. die Unterrichtsverordnung, der Code, welcher Studienplan u. a. vorsieht, die Heerdisziplinordnung, die Wehrordnung.

2) Die Verordnung muss innerhalb einer bestimmten Zeit nach ihrem Erlasse auf den Tisch des Hauses gelegt werden, z. B. die Ausnahmsverordnungen für Irland nach der Crimes Act von 1887 (s. oben S. 198 f.).

3) Die Verordnung muss innerhalb einer bestimmten Zeit auf dem Tisch aufliegen, ehe sie rechtskräftig wird. Sie wird es, wenn nicht innerhalb dieser Frist widersprochen wird. Mitunter, namentlich während das Parlament nicht tagt, kommt es aber vor, dass sie auch ohne weiteres rechtsverbindlich wird. Wird ihr aber innerhalb der bestimmten Frist widersprochen, dann ist sie ipso jure wirkungslos (z. B. 38 and 39 Vict. c. 77 s. 2 und 5; 38/9 Vict. c. 91 s. 7). Das ist der Schein von kontinentalen „Notverordnungen“ 2). In Wirklichkeit ist sie es aber nicht, denn ihr Inhalt und die Fälle ihres Erlasses sind vom Gesetzgeber genau vorgesehen, also nicht in dem subjektiven Ermessen eines Notstand erklärenden Ministers gelegen. Auch suspendiert sie keine Verfassung s bestimmungen, wie es die kontinentale Notverordnung gewöhnlich tut. (S. darüber noch weiter unten Kap. Königl. Prärogative.)

4) Die Verordnung muss vom Parlamente ausdrücklich genehmigt werden, z. B. die sog. Provisional orders, deren Anwendungsgebiet wir vorhin kennen gelernt haben. Die juristische und politische Würdigung der parlamentarischen Regierung § 107. (das Missverständnis der konstitutionellen Doktrin).

I. Wir haben in den vorhergehenden Ausführungen gezeigt, dass die Quelle der

1) S. z. B. H. I. p. 434 Nr. 33; p. 397 Nr. 26, 37.

2) S. über eine Analogie zu diesen englischen Verordnungen im deutschen Reichsrecht

bei Laband, Staatsrecht I. p. 111.

§ 107. parlamentarischen Regierung in der Lex parliamenti, dem parlamentarischen Gewohnheitsrecht zu suchen ist. Trifft dies schon für die Zeit des 18. Jahrhunderts zu, so ist es für die neueste Zeit geradezu von ausschlaggebender Bedeutung.

Die parlamentarische Regierung, wie sie das 19. Jahrhundert hervorgebracht hat, ist nur eine von den vielen Verfassungsmodifikationen, welche die Lex Parliamenti schon hervorgebracht hat und noch hervorbingen wird. Dieses Wirken der Lex parliamenti unterscheidet die englische Geschäftsordnung wesentlich von der kontinentalen. Denn diese kann keine Verfassungsänderungen bewirken, weil sie sich nie zu derogatorischem Gewohnheitsrecht auswachsen darf. Sie muss sich stets innerhalb des Rahmens der Gesetze halten. Die englische Lex parliamenti hingegen darf Rechtssätze, ja, wie wir gesehen haben, Verfassungsrechtssätze, abändern 1). Eine Resolution des Unterhauses wirkt ganz sachte im Stillen, von niemand beobachtet. Sie stellt sich, durch die oben geschilderten Parlamentsprivilegien geschützt, als Rechtssatzan massung dar. Aber was verschlägt's? Sie wird doch mit der Zeit Rechtssatz, denn ihr stehen die Privilegien des Parlaments zur Seite; sie darf nicht von den Gerichten verworfen werden, und das Parlament kann zu ihrer Durchführung das Zwangsmittel des Contempt of court nicht bloss gegen Parlamentsangehörige, sondern auch gegen alle andern Staatsbürger in Anwendung bringen.

Allerdings, Parlamentsprivilegien und Contempt of Court, geübt durch jedes der beiden Häuser, würden noch nicht genügen, um eine Rechtssatzanmassung zum Rechtssatz sich auswachsen zu lassen. Bloss darauf gestellt würden jene Rechtssatzanmassungen von den im Parlamente vertretenen Parteien in ähnlicher Weise missbraucht werden, wie dies Eugène Pierre a. a. O. für das französische Recht behauptet: „c'est un instrument redoutable aux mains des partis", und eine solche Rechtssatzanmassung würde alsbald von der Gegenpartei verschrieen, sehr rasch um jede Stabilität kommen, die sie zum Auswachsen als Gewohnheitsrecht braucht. Die Gegenpartei würde sie ohne weiteres, wenn sie in der majorisierenden Herrschaft ist, sofort von der Geschäftsordnung absetzen u. s. f.

Um diesen Uebelstand zu vermeiden, dient im englischen Rechte die Tatsache, dass jede Rechtssatzanmassung, die zur Geschäftsordnungsregel wird, zuvor sich als eine von den beiden grossen Parteien abgekartete Konventionalregel darstellt. Sie ist von der Parteisitte der einen grossen Partei, die gerade am Ruder ist, zuvor geboren und gebilligt, und wird, ehe sie zur Geschäftsordnungsresolution erwächst, auch von der Gegenpartei anerkannt werden. Opposition gegen eine Resolution, die nur eine früher von der Gegenpartei sanktionierte Parteiregel sanktioniert, kann und wird von der sie einbringenden, am

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1) Auch von der französischen Lex Parliamenti sagt Eugène Pierre in seinem grundlegenden Traité de droit Politique Electoral et Parlementaire (1901 2ème ed.) p. 490 Nr. 445: Le règlement n'est en apparence que la loi interieure des Assemblées, un recueil de prescriptions destinées à faire procéder avec méthode une reunion où se rencontrent et se heurtent beaucoup d'aspirations. En realité c'est un instrument redoutable aux mains des partis; il a souvent plus d'influence que la Constitution elle-même sur la marche des affaires publiques; aussi les Constitutions ont maintes fois retenu des articles qui par leur nature étaient purement reglementaires". Während aber in Frankreich und bei uns (so z. B. die Abänderung des Artikels 22 der Reichsverfassung, welcher die Oeffentlichkeit der Reichstagsverhandlungen anordnet durch die Geschäftsordnung des Reichstags (§ 36) diese Aenderungsversuche durch die Lex parliamenti nur verstohlen und insgeheim stattfinden können, ist in England die Lex parliamenti vollgültig anerkannte Rechtsquelle.

Ruder befindlichen Partei durch den einfachen Hinweis zum Schweigen gebracht § 107. werden, dass die Gegenpartei es ebenfalls früher so gemacht hatte, als sie am Ruder war. In diesen beiden Tatsachen, dass jede bleibende Geschäftsordnungsresolution des Unterhauses zuerst als Konventionalregel der beiden grossen Parteien sanktioniert sein muss, ehe sie Geschäftsordnungsregel wird, und sodann, dass es nur immer zwei grosse Parteien im Parlamente sind unter deren Mantel solche Geschäftsordnungsregeln ,, ausgebrütet" werden, liegt die Garantie dafür, dass eine festgesetzte Regel stabil bleibt, und von der Gegenpartei im Parlamente, dem einzigen Mund, von dem sie in der öffentlichen Meinung angeschwärzt und diskreditiert werden dürfte (denn die Gerichte und anderen Staatsbürger dürfen es ja nicht wegen der Parlamentsprivilegien), eben nicht angefochten wird.

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Deshalb haben seit jeher englische Schriftsteller den allerletzten Grund des Gedeihens parlamentarischer Regierung in England in dem daselbst herrschenden Parteisystem, mit Recht erblickt. Denn nur so allein kann aus der Parteikonventionalregel, als welche sich immer eine von der parlamentarischen Geschäftsordnung sanktionierte Geschäftsordnungsregel in ihrer Embryonalentwicklung darstellt, zum parlamentarischen Gewohnheitsrecht, zur Lex parliamenti auswachsen.

Dies ist der grosse Unterschied zwischen der kontinentalen und der englischen Geschäftsordnung. Er wirkt auch die grosse Verschiedenheit, die zwischen der englischen parlamentarischen Regierung und deren kontinentaler Nachahmung bestehen muss und besteht. Die kontinentalen parlamentarischen Regierungen können nicht so gedeihen, wie der Idealtypus in England, weil, abgesehen von dem Fehlen bloss zweier grosser Parteien, nicht jene Parlamentsprivilegien, vor allem nicht die stillwirkende Kraft des Common law vorhanden sind, und weil auf dem Kontinente die Anerkennung der Lex parliamenti als selbständiger Rechtsquelle fehlt.

Es fehlt aber auch dem Kontinent jener wichtige Vorzug des Common law, welcher die Rechtssanktion der Konventionalregel selbst herbeiführt: nämlich die Rechtskontinuität. Gerade auf diese Kraft der Kontinuität, durch welche sich die Konventionalregeln an alte Sätze des Common law anzuschmiegen wissen, kommt es an. Daher haben sie ihre Sanktion und Verbindlichkeit. Denn wenn ein Minister sich z. B. trotz fehlgeschlagenem Appell an das Volk, trotzdem die zu seiner Stütze vorgenommenen Neuwahlen ihn im Stiche gelassen haben, im Widersqruch mit der Konventionalregel, die ihm in solchem Falle Rücktritt gebeut, sich im Amte weiter zu halten sucht, wird er zu einer Unmasse von Rechtsverletzungen genötigt. Er stösst jeden Augenblick an die feine Spitze eines Rechtssatzes, den das Common law ausgebildet hat.

Dies alles kann auf dem Kontinente nicht nachgeahmt werden: Nicht das Parteisystem, nicht die Kraft des parlamentarischen Gewohnheitsrechtes als selbständiger Rechtsquelle, nicht die Jahrhunderte alte Rechtskontinuität des Common law. Ist die englische parlamentarische Regierung durch die Kraft des Common law mit dem menschlichen Organismus vergleichbar, dann ist jede parlamentarische Regierung auf dem Kontinente ein Homunculus, ein in der Retorte des Chemikers erzeugter künstlicher Mensch!

Fragen wir nun nach der juristischen Natur dieser Herrschaft durch parlamentarische Resolutionen, dieser Verfassungsumbildungen durch parlamentarische Rechtssatzanmassungen, so ist die Antwort: sie sind Verwaltungs- und Rechtsverordnungen des Parlaments praeter legem, mitunter contra legem, ordinances, wie die Rechtsterminologie sagt. Vergleichbar den königlichen Verordnungen im Gebiet des deutschen Staatsrechts, die über die in der Verfassung aufgezählten Ermächtigungsklauseln hinaus erlassen werden. Trotzdem

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