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ausgezeichnete, reifere politische Bildung erblühen, deren Bildungsprozeß auch auf der härteren Schulbank des Lebens nie abgeschlossen wird, zu deren Vervollkomminung der Umgang mit Menschen dient und mit Büchern, jene mit dem Verlassen der Schule kräftig einsehende Selbstkultur, die uns zu politischen Beratern in in die Lehre gehen heißt, wie Dahlmann, Treitschke, Ragenhofer'), Bismarck.

Das Zugeständnis der bei den heutigen Zeitaufgaben unvermeidlichen politischen Propädeutik schließt aber durchaus nicht die Forderung der Einführung eines neuen Lehrgegenstandes in den von seiner Decentralisation noch immer nicht genesenen Lehrplan ein. Mit solchem Allheilmittel mag die Fachschule Wunderkuren verrichten. Die Schule der Menschenbildung, die charaktervolle Männer zu erziehen hat, die mit dem Trieb zu genetischem Verständnis der Welt sich mit klarem Kopf und freiem Herzen in ihr bewegen, diese Schule hat Gelegenheit genug, aus den einmal vorhandenen Unterrichtsstoffen politische und sozialpolitische Gesichtspunkte herauszuheben.

Da historische und politische Bildung im Verhältnis von Mutter und Tochter stehen, hat man den Spaten vor allem eingeseßt auf dem Felde des Geschichtsunterrichts, der dank der sozialgeschichtlichen Richtung unserer Wissenschaft den für frühere Jahrzehnte verfrühten Wunsch einer kulturhistorischen und sozialpädagogischen Behandlung in das Reich der Möglichkeit gerückt hat.

Bei einer derartigen Beleuchtung der modernen Geschichte mag sich leichter jenes Etwas einschleichen, von dem Scheffel seinen Trompeter frei wußte, „der Tendenz Verpfefferung". Das neutrale Gebiet der abgeschlossenen, räumlich beschränkteren, in Voraussetzungen und Folgen durchsichtigeren, durch die Unterstüßung der Nationalökonomie und Soziologie heute tiefer ergründeten alten Geschichte wird daher bevorzugt; denn dieselben Lebensfragen bewegen, wie wir zu zeigen gedenken, die alte Welt und die neue.

Troß dieses Vorzugs ist auf Gymnasien und Realgymnasien, denen das Mittleramt zwischen Gegenwart und Vergangenheit anvertraut ist, die alte Geschichte nur mit geringer Stundenzahl bedacht scheinbar !

In Wirklichkeit hat sie bei der Beuteverteilung den Löwenanteil erhalten. Denn die jahrelange Beschäftigung mit altsprachlicher Profalektüre, die von der sprachlich treuen Interpretation im Kleinen fortschreitet zum Ausblick auf das Große und Allgemeine, die zu betrachten ist als sprudelnder Quell der Kulturgeschichte, nicht durch Herabwürdigung zum grammatischen Ziehbrunnen um ihren guten Ruf zu bringen ist, was darf sie anderes bedeuten im Werke der Erziehung, als ein jahrelanges, tägliches, eigenes historisch-politisches Quellenstudium?

In dem Rahmen des antiken Schrifttums ist politische und sozialpolitische Vorbildung zu bieten, an den Geisteserzeugnissen, in denen sich eine Kulturwelt spiegelt, die politisch lebensvoll und vielgestaltig, politisch tot und übersichtlich

1) Wesen und Zweck der Politik (1893). Die politischen und sozialen Systeme, die im Laufe der legten vier Jahrhunderte Bedeutung gewannen, sollen gewürdigt werden in einem soeben in die Oeffentlichkeit getretenen Unternehmen: „Politiker und Nationalökonomen". Eine Sammlung biographischer System- und Charakterschilderungen, herausg. von G. Schmoller und O. Hinze. (Stuttgart, Fr. Frommann. 1900.) Band I. Machiavelli von R. Fester.

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ist. Auch politische Formenlehre, auch politische Syntar bieten die von Unkundigen verlästerten, von Ungeschickten mißhandelten und von Geschickten zu allen Zeiten gut erklärten Schriftsteller der Antike. Eine versunkene staatliche Welt baut sich der Schüler mit eigener Geisteskraft in ernster, unter die Oberfläche tauchender Gedankenarbeit wieder auf; er verkehrt mit dem Geisterreich der Antike, in der er die Grundlagen aufzufinden vermag, auf denen das zwanzigste Jahrhundert ruht, er erarbeitet sich das Verständnis historischer Zusammenhänge und politischer Möglichkeiten, er empfängt damit den Hauptschlüssel zur hohen Pforte der Politik.

Politischen Nährwert hat der antike Bildungsstoff schon glänzend bewiesen an dem Geschlecht, das in Theorie und Praxis mitgearbeitet hat an dem Monumentalbau unseres Einheitsstaates, an der Fundamentierung eines sozialpolitischen Reformwerks, dessen bis jetzt stehende Grundmauern das sozialpolitisch weit zurückgebliebene Ausland erst jüngst wieder staunend als vorbildlich anerkannt hat.

Die politische Bildungskraft der alten Welt wird sich in gesteigertem Grade an jüngeren Generationen aufs neue bewähren, da Wissenschaft und Pädagogik heute in weit besserer Ausrüstung an die Bewältigung dieser Aufgabe herantreten können.

Die öffentliche Meinung glaubt willig an Fortschritte auf dem Gebiete der Technik, der Heilkunst, wähnt aber die Therapie und Operationskunst der im modernen Ständekampf um ihre Anerkennung in ernster Arbeit ringenden Jugenderzieher zu chinesischem Stillstand verdammt. Auch der Philologenstand ist in seiner Kunst abhängig von den Fortschritten seiner Wissenschaft. Das Streben der Altertumswissenschaft geht, wie Ihnen vor Jahresfrist F. Bölte 1) tiefgründig bewiesen, heute, wo sie durch Denkmäler- und Inschriftenkunde, durch die Terte und das Aktenmaterial der Papyrologie zu einer Renaissance geführt, danach, die Totalität der idealen und realen Faktoren zu begreifen, die sich bedeutsam erwiesen im Werden, Sein und Vergehen der alten Welt. Die Klippe der Einseitigkeit ist heute eher zu meiden, wenn ein contagium vivum zwischen Wissenschaft und Schule erhalten bleibt. Grammatik, Aesthetik, Ethik und Politik sind Bundesgenossen in dem Kampf um Rom und Athen, den jedes Geschlecht in seiner Weise führt. Der Wirklichkeitssinn, der in unserer Altertumswissenschaft zum Durchbruch gekommen ist, hat uns die Stufe des Verbalismus überwinden, von der Wort zur Sachbildung fortschreiten lassen, ermöglicht heute den Nachweis, wo und wie sich im Rahmen altsprachlicher Prosalektüre politische und sozialpolitische Anregungen geben lassen. Schon manche Rufer im Streite haben sich vernehmen. lassen, R. Pöhlmann, K. Fischer, J. Asbach, K. Schenk, K. Endemann, G. Friedrich, M. C. P. Schmidt, M. Hodermann, F. Bölte u. a. In diesem Jahre trat der in der deutschen Publizistik bekannte Anwalt der Antike, P. Cauer, aufs neue vor das Tribunal der öffentlichen Meinung mit der gehaltvollen Schrist Wie dient das Gymnasium dem Leben?",2) aus der auch diese Ausführungen vielfache Anregung

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1) „Das klassische Altertum und die höhere Schule.“ Heidelberg, C. Winter. 1900. 2) Düsseldorf, In Kommission von L. Voß, 1900.

erhalten haben. Wenn heute der Versuch erneuert wird, Laien das scheinbar Moderne. das ewig Menschliche in der Antike zu zeigen, so ermuntert dazu ein Ausspruch des größten unter den Frankfurter Verehrern des klassischen Altertums, die Forderung Goethes: Man muß das Wahre immer wiederholen, weil auch der Irrtum um uns her immer wieder gepredigt wird und zwar nicht von Einzelnen, sondern von der Masse. In Zeitungen und Encyklopädien, auf Schulen und Universitäten, überall ist der Irrtum obenauf, und es ist ihm wohl und behaglich im Gefühl der Majorität, die auf seiner Seite ist.“

II.

Und nun von der Theorie zur Praris. Sie werden gebeten heute im Geiste, später auch, si placet et licet, in Person altsprachlicher Lektüre auf der Mittel- und Oberstufe beizuwohnen, um sich von der Fülle von Problemen äußerer und innerer Politik zu überzeugen, in die sich hineinzudenken unsere jungen Commilitonen Gelegenheit finden.

Was heute geboten wird, wird manchem vorkommen, wie eine Variation über das Rückert'sche Thema: „Aus der Jugendzeit", wird Fachgenossen nur als ein Flug durch die antike Welt erscheinen, der an mancherlei Merkwürdigkeiten vorbeieilen muß, um durch Beschränkung auf die wichtigsten Aussichtspunkte das Ziel einer Gesamtübersicht über die in der römisch-hellenischen Welt sprudelnden Quellen politischer Erkenntnis zu erreichen').

Ein echter Tertianer dürstet nach realistischen Stoffen. Ein rerum scriptor, ein Geschichtsschreiber, tritt vor ihn hin, ein die Welt erweiternder, die Kultur rettender Heerführer, gleich Moltke ein Klassiker seiner Muttersprache, ein vielseitiger Geist, Stratege und Ingenieur, sozialer Reformator und politischer Drganisator, Cäsar der Staatsmann, dessen Name zur Bezeichnung der höchsten Würde der Staatsgewalt noch heute verwendet wird, der einem politischen System, dem Cäsarismus, den Namen geliehen, dessen jüngstes Beispiel wir im Kaiserreich Napoleons III. erlebt, der in seiner Geschichte Julius Cäsars mit der Würdigung seines Helden eine Apologie des Cäsarismus verbindet.

Nach solcher Perspektive tritt die Jugend von heute einem gerade vor zwei Jahrtausenden geborenen Schriftsteller näher, der in einem auf die Akten der Kriegskanzlei ̧ zurückgreifenden Originalbericht seine eigenen Erlebnisse bei dem auf dem Boden des heutigen Frankreich geführten Freiheitskampf der keltischen Nation erzählt.

Das Heer, nach Moltke die vornehmste Einrichtung des Staates, lernt der Schüler durch Cäsar als gewichtigen politischen Faktor kennen, staatenzerstörend und staatenbildend; denn das in Gallien eingeschulte Heer wird sein Werkzeug für die Errichtung der Monarchie. Die aus der Lektüre zu erarbeitende Einsicht in die römischen Heereseinrichtungen, in das Verhältnis von Heer und Staat,

1) Wer Anstoß nehmen sollte an der im engen Rahmen dieses der Propaganda dienenden Vortrags fich drängenden Fülle von pointierten Vergleichen möge bedenken, daß diese auf die Vergegenwärtigung der Antike zielenden Anregungen sich in der Praxis des altphilologischen Jugendunterrichts auf Jahre verteilen.

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muß Fühlung behalten mit der Kenntnis der deutschen Wehrverfassung der Gegenwart, in der wir das beste nationale Einigungsmittel haben. Die Cäsarüberseßung wird sich unserer immer deutscher und deutlicher werdenden Heeressprache bedienen. Der Altphilologe, der nicht den Vorzug hatte, in der allgemeinen Volksschule des Heeres der einzigen wirklichen Einheitsschule wesen zu sein oder gar von einem Häfeler „ganz leise, nach seiner Weise“ über die schlachtberühmten Moselhöhen nach der alten keltischen Götterburg der Mediomatriker geführt worden zu sein, der wird sich, um einen Cäsar und seine Leute der Jugend leibhaftig vorzuführen, an bedeutende Militärschriftsteller halten, an den alten Garibaldianer Rüstow, an des Moltkebiographen Jähns treffliche Schrift Cäsars Kommentarien und ihre litterarische und kriegswissenschaftliche Folgewirkung", wird sich mit Delbrücks „Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte“ auseinanderseßen, der zeigt, wie in Cäsar die antike Kriegskunst gipfelt.

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Von dem einfach schildernden Memoirenschreiber wendet sich eine reifere Jugend zu dem reflektierenden patriotischen Schriftsteller Livius, dem die Kunst eigen ist, die Charakterrollen im Drama der römischen Geschichte herauszuarbeiten, der einen Hannibal zu portraitieren versucht, den Zusammenprall der ersten Landmacht mit der ersten Seemacht miterleben läßt. Er fordert zur Parallele heraus zwischen den Staatseinrichtungen der noch blühenden, durch ihren aristokratischen Senat gestüßten römischen Republik, deren Verfassung den Staat selbst ein Cannä überleben ließ, und den in Holland und England wiederzufindenden politischen Verhältnissen der phönizischen Kapitalistenrepublik Karthago, der erst nach einem Jahrhundert vernichteten Konkurrenzmacht, die im Sterben den Siegern ein Nessushemd, wie Mommsen sagt, vermachte: das durch ihre originale Ackerbaukunst erzeugte Wirtschaftssystem einer nur noch einmal in den Südstaaten der amerikanischen Union überbotenen Plantagenwirtschaft und ein Rezept zur Behandlung niedergekämpfter Feinde, die Ausbeutung der Provinzen durch Zöllner und Sünder des Raubritterstandes. Ubi publicanus est, ibi ius publicum vanum (aut libertas sociis nulla), so sagt unser Autor von diesem unritterlichen Ritterstande. Seine Entstehungsgeschichte lernt der Schüler im 21. livianischen Buche kennen, wenn er liest, daß den zur Regierung gehörenden Senatorenfamilien, die gern transmarine Politik trieben, durch die Führer der bäuerlichen Reaktion die Spekulation unterbunden werden sollte, und ihm klar gemacht wird, daß dieser Volksbeschluß eine doppelte politische Wirkung hatte: die Bildung einer Finanzaristokratie neben der agrarischen politischen Aristokratie, die lernte Bauernhöfe zu „legen“ gleich englischen Lords.

Die politische Einteilung italischer Gemeinden, das System der Selbstverwaltung, der Sicherung von Neuerwerbungen auf italischem Boden durch Kolonisation und Heerstraßen erfahren unsere jungen Freunde durch dasselbe Buch unseres Autors, dessen wundergläubige Prodigienberichte Anlaß bieten die römische Staatsreligion zu kennzeichnen und auf Montesquieus Abhandlung „über die Politik der Römer in Religionssachen“ zurückzugreifen.

Einen nachhaltigen Eindruck hinterläßt auch das noch wenig eingebürgerte,

von meinen Schülern eben mit Interesse gelesene leßte der erhaltenen Livianischen Bücher. Es zeigt die im Osten der Mittelmeerwelt auftauchenden Römer in den ersten Stadien einer durch Zwangsverhältnisse und kleinstaatliche Rivalitäten gezeitigten Weltpolitik, deren wirtschaftliche, die sozialen Zustände Italiens und seiner Hauptstadt umstürzende Folgen in dieser Lektüre erörtert werden. Wir hören von der Steuerbefreiung der römischen Bürger, wir ermessen die Ueberschwemmung Italiens durch die nach Kriegsrecht erbeuteten Massen von Sklaven, jener instrumenta vocalia", der mit Stimme begabten Arbeitsmaschinen, deren permanente Weltausstellung sich in dem heiligen Delos befand, deren spottbillige Arbeitskraft dem Großgrundbesißer erlaubte, dem durch überseeische Lebensmittelkonkurrenz erdrückten Kleinbauern den Garaus zu machen. Aber auch in die hellenistische Welt, die politisch besiegt ihre römischen Ueberwinder kulturell bezwingen sollte, dringt der Schüler mit B. 45 ein. Die aus Kaufleuten zu Feldherrn und Regenten gewordenen antiken Medici, die kunstfreundlichen Attaliden von Pergamon, werfen sich in ihrer politischen Ohnmacht zu Füßen eines republikanischen Stadtstaates, der sich aus einer durch Subordination erstarkten latinischen Bauerngemeinde eben zur Weltmacht aufzuschwingen beginnt. Aus dem Munde des römischen Botschafters, des typischen Popilius Laenas, hören wir eine neue diplomatische Sprache, die den Anwohnern des Tiber ihren politischen Einfluß im Nilthal sichert, die uns das Wehen eines neuen Windes in Roms auswärtiger Politik spüren läßt. Aber auch der alte Kurs hat seinen Vertreter in diesem Buche. In der Schußrede für die Rhodier tritt gravitätisch M. Porcius Cato Censorius auf, die geborene Rücksichtslosigkeit nach Livius, jener Dekonom, der sein Leben lang kein Griechisch lernen wollte und sich am Ende seiner Tage doch noch bekehrte, jene Censorenfigur, an der wir der Jugend an der Hand von Mommsens Staatsrecht die falsche Vorstellung von der Bewegungsfreiheit des römischen Republikaners in und außer dem Hause rauben müssen.

In Roms innere Politik am Ende des zweiten und in der ersten Hälfte des ersten Jahrhunderts v. Chr. führt Sallust ein, der Kenner der menschlichen Psyche. Sein auf Studien an Ort und Stelle beruhender, durch die archäologische Forschung der Franzosen zu illustrierender Krieg gegen Jugurtha“ zeigt die bis zur Degeneration gediehene Entwicklung eines erblichen, die Staatsämter wie den Senat für sich beanspruchenden erklusiven Amtsadels, zeigt die gute, von Jugurthas Gold bestochene Nobilität. Ihr steht ein Bürgerproletariat gegenüber, das der Volksmann Marius, ein Tagelöhnersohn, bewaffnet, wie die Pariser ihre Kommunards, mit denen er das Zeitalter der Bürgerkriege heraufbeschwört, wo der Soldatenbürger zur Geltung kam und Civilversorgung heischte, wo Proletarierlegionen auf das Expropriationsrecht pochten. Gerade die erste Spannung zwischen dem Demokraten Marius, dem Aristokraten Sulla erlebt der Leser des Sallust mit. Er ahnt noch nicht, daß aus Sulla, dem tüchtigen jungen Offizier, bald der Urheber eines nur in der französischen Revolution noch nachgeahmten Terrorismus wird, jener Großinquisitor, in dessen Gefeßen die Darsteller der römischen Rechtsgeschichte die Quelle der Strafrechtspflege der Welt sehen, den Leonhard nennt den furchtbaren Vater des Strafrechts“.

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