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Der Troft der Lehrer.

Ein Pfingstgruß.

Es ist eine alte Klage, daß in unseren Schulen, zumal den höheren, entweder zu viel oder zu wenig gelernt werde; sie erregte schon vor anderthalbtausend Jahren den Ärger des Libanius und vor einem halben Jahrhundert den Spott Lo= becks. Noch älter ist das Ansinnen, daß die Schule berufen sei, alle menschlichen Gebrechen in Staat und Gesellschaft zu heilen; es geht unmittelbar auf Platon, in gewissem Bezuge auch auf Ariftoteles zurück. Der große Stagirit war immerhin verständig genug, nicht von einer einzelnen zumal menschlichen Einrichtung zu erwarten, woran Staat und Gesellschaft, Kunst und Wissenschaft, Geschichte und Offenbarung gearbeitet und immerfort zu arbeiten haben; nicht ohne Erfolg, aber doch nur in langsamer Bewegung zum Ziel, das schließlich mit der Welt Ende zusammenfällt. Ja Fichte wollte sein gesunkenes Vaterland durch völlige Umge= staltung des Erziehungswesens vor dem Verderben retten, welchem es durch die Schlaffheit der Eltern verfallen sei. Mit der Forderung der sittlichen Wiedergeburt hatte er recht; die Macht der Familie und die Wucht der Hindernisse nahm er doch allzuleicht. Gleichwohl zeigte der gewaltige Mann, was er selbst wollte und vermochte, indem er und mit ihm Schleiermacher den zerflossenen Geist des Bürgertums wenn nicht im ganzen Lande, so mindestens in der Hauptstadt binnen we= nigen Jahren umschufen.

Jene Klage ist auch heute nicht verhallt; wie verschieden in ihren Zielen und Mitteln, immer sind die Kritiker darin einig, daß die Verkehrtheit unserer Schulen die Schuld trage für den Mangel, sei es an Kenntnissen und Fertigkeiten oder an Willenskraft und Idealität, an dem unsere Jugend nun einmal leide. Ist mir doch vor einigen Jahren, als der morbus pædagogicus in vollem Wüten stand, von einem eifrigen Schulverbesserer geschrieben, daß der jezige verderbte Zustand der Gesellschaft auf Rechnung der Grundsäge komme, welche ich in meinen pädago= gischen Schriften verteidigt hätte! Ich erinnere mich nicht mehr, ob dieser Vorwurf mein Selbstbewußtsein sehr gehoben hat; erstaunt war ich jedenfalls, daß ein schlichter Schulmann so große Dinge gethan haben sollte.

Sehr ehrenvoll ist jenes Anfinnen, nur nicht ebenso klar und folgerecht im Munde derer, welche sonst besonders für menschliche Freiheit streiten und gleichwohl dem Lehrer die völlige Herrschaft über die gottgeschaffene, zur Freiheit geborene Eigenart des Kindes zutrauen, als ob dessen Seele eine knetbare Masse wäre. Wir Lehrer denten über unsere Kraft und über die Grenzen unserer Wirksamkeit be= scheidener; aber wir wollen uns dieses schrankenlose Zutrauen in dem Sinne merken, Das humanistische Gymnasium 1894. I.

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daß, wenn die Last und Verantwortung für solche Aufgaben auf unsere Schultern geladen wird, wir und nicht quilibet de plebe die Wege und Mittel zu ihrer Lösung zu wählen haben.

Die nächste Frage bliebe dann, wovon wohl zu viel oder zu wenig in unseren Schulen gelernt werde. Die Antworten hierauf schallen vielfältig, widerstreitend und deshalb mißtönig. Die meisten Tadler wollen bestimmte, obschon keineswegs immer dieselben Lehrfächer, wenn nicht diese, so bestimmte Lehrarten abschaffen, um andere in den Mittelpunkt des Unterrichts zu seßen. Gar manche wollen die Lern= masse überhaupt, gleichviel aus welchen Fächern, beschneiden, um der jugendlichen Entwicklung, die jezt so arg verkümmert werde, freie Bahn zu schaffen. Dies heißt dann wohl die Arbeit des Lehrers verringern, denn er soll dann weniger eingreifen. Ob die Jugend, sich selbst überlassen, sich lieber sammeln oder zerstreuen will, ist eine andere Frage, auf die die Herren Verbesserer sich nicht gern einlassen. Aber Vereinfachung und Sammlung wollen alle. Dies ist ein sehr wertvolles Zugeständnis; denn es räumt ein, daß die Wurzel alles Übels bei der Geisteserziehung in der Zerstreuung liege, und es zeigt selbst in seiner Unbewußtheit, wie nahe im Unterricht sich die sittlichen und intellektuellen Aufgaben und Wirkungen berühren. Soll an die Stelle der Zerstreuung die Sammlung des Geistes treten, so ist dies eine sittliche Forderung, welche Lehrer und Schüler spornt und vereint. Wie gern nehmen wir diese Weisung an! Stimmt sie doch mit allem, was Philosophie und Religion bisher über die Einheit des Menschengeistes ermittelt und gelehrt haben.

Dann ist es aber mit dem bloßen Beschneiden des Lehrstoffs oder mit dem Vertauschen der Lehrgegenstände, gleichsam wie im Kinderspiel mit dem Verwechseln der Pläge, nicht gethan. Wir wollen wissen, wie der jugendliche Geist gesammelt, gestärkt, beharrlich gemacht werden soll, woneben die Frage, was sammeln, was fallen, was den Mittelpunkt des Unterrichts bilden soll, zwar nicht gleichgiltig ist, aber in zweiter Linie steht. Dies müssen wir zuvor wissen, wenn wir dem Hause auch die im Grunde stets sittliche Erziehungsarbeit abnehmen sollen, freilich unter möglichster Schonung der süßen häuslichen Gewohnheiten. Der Vater darf dabei in seinem nicht immer gesammelten Treiben bei Leibe nicht gestört, selbst in seinen Worten nicht beschränkt werden, sollten diese auch weder eine besondere Achtung der idealen Lebensgesehe oder des Lehrers und der Schule bekunden.

Sei dem so! Wenn aber der Lehrer die Kraft zur Bewältigung jener schwe= ren und reichgegliederten Aufgabe haben soll, so muß er doch selbst gesammelten Geistes und beharrlichen Gemütes sein, fortis et in se ipso totus, teres atque rotundus. Denn darüber sind wir einig, similia similibus curantur, grundver= schiedenes kann im Reiche der Geister wohl abstoßen und beschädigen, aber nicht erziehen, weil der Hauptteil der Erziehung die gegenseitige Liebe ist.

Wie wird ein solcher Lehrer? zumal in der jetzigen Verwirrung der Geister, in dem heftigen Kampfe darüber, ob alle Wissenschaft induktiv oder einige auch deduktiv zu entwickeln, ob die Philosophie spekulativ oder exaktnaturwissenschaftlich zu gestalten, ja selbst ob die Sprache geschichtlich oder phonetisch zu begründen

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und zu erklären sei. In der Kunst soll nicht mehr gelten, was Aristoteles und Lessing als das allgemeine Gesetz aus den geschichtlich und national bedingten Kunstwerken ermittelt haben. Der Staat, es fehlt nicht viel, so wird er in einzelne Gesellschafts- und Erwerbsklaffen aufgelöst, deren jede gegen die andere ficht, nicht zu gedenken derer, denen die Freiheit des Einzelnen über dem Kosmos des Ganzen steht oder die gar eine unterschiedslose Masse, eine allgemeine breiartige Menschheit ohne Gesez und Sitte für die schönste Form des Daseins halten. Wenn nun schon dem Weltmenschen in diefem Strudel der Bewegung bange wird, soll der Lehrer, dessen Arbeitsfeld die ruhige Schule ist, sich von allem Außenleben zurückhalten, etwa wie vor sechzig Jahren, wo die Lehrerschaft anscheinend ein in sich geschlossener Kreis mit idealem Stillleben war?

Oder ist dies nicht auch ein Irrtum? Denn damals war das Leben überhaupt gesammelter, in ebenem Bette ruhig flutend. Die Gebildeten, welche das nationale Bewußtsein in sich darstellten und zugleich lenkten, waren nicht zerstreut; bestimmte einfache Interessen hielten sie zusammen und an diesen hatten die Lehrer der höheren Schulen, die Spilleke und Meineke, die Döderlein und Roth, reichen Anteil. Wie sollte es auch, damals wie jezt, möglich sein, die Männer, welche die Jugend der leitenden Stände für ihren künftigen Beruf geschickt machen sollten, welche also hierzu die Bildungsantriebe und die Art der Vermittelung, aus ihrer Umgebung entnehmen müssen, von dem Leben der Gegenwart abzuschließen? Immerhin beobachten sie eine angemessene Zurückhaltung: in einer langen Tätigkeit, welche mich mit einer großen Zahl von Schulen verband, ist mir nicht bekannt geworden, daß die Lehrer sich gleich anderen oder gar vor anderen dem Wirtshausleben, dem öffentlichen Parteitreiben hingaben; eher das Gegenteil, einzelne Ausnahmen vorbehalten. Wohl aber weiß ich, daß die seltsamen Figuren der vergan= genen Tage aus ihnen geschwunden sind, daß sie eifriger über ihre Aufgaben, ihr Fach, ihre Lehrmittel nachdenken, daß die Routine im Abnehmen, die Methode, vielleicht zu sehr, im Wachsen begriffen ist, daß die Lehrer durchschnittlich mit guter Fachbildung ins Amt treten und daß, wenn sie die Wissenschaft durch eigene Arbeit nicht so zu fördern vermögen, wie ehedem die genannten Schulmänner und deren Zeitgenossen, dies an dem Übermaß von Arbeit liegt, mit der sie in überfüllten Klassen belastet sind. Hier könnte wohl die Staatsregierrung helfend und erleichternd eintreten. Und wenn die Lehrer jezt mehr sich zur äußeren Hebung ihres Standes verbinden, wer ist daran Schuld, als die, welche diese Fürsorge schon früher hätten bethätigen sollen?

Ja ich bewundere, daß von den Ausgeburten der neueren Geistesbewegung, dem Monismus, Naturalismus, Pessimismus und wie sie sonst heißen, nicht mehr in die Herzen der Lehrer eingedrungen ist, und doch hat dies seinen guten Grund. Wer täglich mit der Wahl der Mittel für die reinste Geistesbildung befaßt ist, des= sen Sinnen wird auf das Ganze und in die Tiefe gelenkt und bleibt von der Einbildung törichter Allwisserei wie von sittlicher Verzweiflung frei. Ich bewundere dies um so mehr, als die Not der jezigen Erkenntnisflut für unsere Vorfahren im Lehramt überhaupt nicht vorhanden war. Jene kamen mit frischer und einfacher

Begeisterung aus den Schulen Wolfs und G. Hermanns, Schleiermachers und Böckhs; vielleicht ist die Summe des unentbehrlichen Wissensstoffes inzwischen zu sehr angeschwollen, um jezt eine ähnliche Geistesverklärung von der Universität mitzunehmen.

Lob und Anerkennung also dem Stande, der unter so vielspältigen Einflüssen dennoch sich für sein Amt zu sammeln und zufrieden zu sein weiß. Zufrieden? Das nicht immer, allein ist denn die übrige Welt zufrieden? Strebt sie nicht vielmehr auseinander und zu einem Teile wenigstens vergänglichen Gütern nach? und selbst wo dies nicht der Fall ist, wo den Teilbestrebungen edle Absichten zu Grunde liegen, da wird das Wollen und Wirken allzuhäufig durch Einseitigkeit und Parteisucht geschärft und zugleich getrübt. Dies gilt selbst von dem Gebiete, auf dem wir uns alle in friedlichem Zusammenleben vereinigen sollten, von der Gotteswissenschaft und der Kirche. Wenn Melanchthon seine Zeitgenossen von dem Streit über den metaphysischen Inhalt der Dogmen auf das Feld reiner Gottesanbetung und christlicher Liebe zurückrufen wollte, ist dies jezt weniger nötig?

Dieser Zersplitterung gegenüber kann das Denken und Thun der Lehrer noch immer als gesammelt gelten; es wird an Einheit und Kraft gewinnen, wenn sie die einzelnen Seiten ihrer Aufgabe sittlich wie wissenschaftlich zusammenfassen und in der Wissenschaft die verschiedenen Mittel im Zusammenhange durchdenken und durchdacht zu einfacher Unterrichtswirkung verdichten. In dieser Hinsicht ziemt ihnen allerdings, nicht nur unklare und wilde Geistesströmungen von sich und der Schule abzuwehren, sondern selbst in ihrem Fache das Einfache und Unerläßliche in den Vordergrund zu stellen und vor allem sich durch allerhand unberufene Zumutungen weder stören noch beirren zu lassen.

Was ist meiner Rede kurzer Sinn? Etwa eine Mahnung an die Berufsgenossen, wie sie allenfalls einem älteren Manne zu gute gehalten wird? Gewiß eine Mahnung, aber nicht zu größerem Eifer oder reinerem Leben, deren es nicht bedarf, sondern die Mahnung, sich abzukehren, wo nicht abzuschließen von den unreifen und gewaltsamen Besserungsversuchen solcher, welche den Beweis dafür, daß sie sich auf das Wesen des Geistes und die Bedingungen seines idealen Wachstums verstehen, bisher schuldig geblieben sind und stets schuldig bleiben werden; die Mahnung, sich immer wieder auf die einfachen Linien ihres Berufs, auf die in schwerer Arbeit erworbenen Erfahrungen des eigenen Amtslebens, auf den Troft der Wissenschaft zu besinnen und hierdurch mit der Klarheit der Einsicht auch das köstliche Gut der Zufriedenheit gewinnen, deren Niemand weniger entbehren kann, als der andere zum Frieden erziehen soll. Eine Mahnung auch zum Stolz, wenn nicht auf die eigene Kraft, da nicht nur unser Wissen, sondern auch unser Wollen und Vollbringen Stückwerk ist und bleibt, so doch auf den Adel des Berufs, auf die Höhe der Aufgabe, den Schaß der Erfahrungen und den Wert der geistigen, sittlichen, nationalen Bildung, zu welcher unsere Vorfahren auch unter Mühen und mancherlei Irrungen, aber mit redlicher Hingabe und schönem Erfolge gesammelt und den wir die heilige Pflicht haben, nicht nur unversehrt, sondern gleich dem Pfunde im Evangelium vermehrt und geläutert auf unsere Jugend zu vererben.

Das ist das hohe Ziel, die Stärke, der Troft derer, so viele zur Gerechtigkeit weisen, und in diesem Sinne wollen wir das Fest begrüßen, das die zerstreuten und zerschlagenen Jünger des Herrn mit der Kraft des ewigen Geistes erfüllte und zu einer Gottesgemeinde sammelte.

Halle a. S.

W. Schrader.

Über die Stellung des Unterrichts in der alten Geschichte
im Gymnasiallehrplan.

Referat für die zweite Versammlung deutscher Historiker 1894.
Von O. Jäger (Köln).

Die Frage, die uns beschäftigen soll, ist in hohem Grade zeitgemäß. Die Angriffe der vielgestaltigen Feindschaft gegen die sogenannte humanistische, d. h. auf intensiver Beschäftigung mit der griechisch-römischen Welt beruhende Bildung können sich insofern eines Sieges rühmen, als in dem neuen Gymnasiallehrplan des größten deutschen Staates der Unterricht in alter Geschichte ein ganzes Jahr verloren hat, bei der Abiturientenprüfung die alte Geschichte als solche nicht mehr besonders berücksichtigt werden soll und, was wichtiger ist, dem lateinischen und griechischen Unterricht die grundlegende Stellung, die er seither eingenommen, auf das empfindlichste geschmälert worden ist. Das Prinzip selbst ist noch nicht aufgegeben, im Gegenteil, die maßgebenden Instanzen lassen sich angelegen sein, demselben von Zeit zu Zeit gute Worte zu geben; es handle sich um Konzessionen, die man dem sogenannten Zeitgeist machen müsse, und man beruft sich dabei vornämlich auf das nationale Bedürfnis, welches jezt, nach Errichtung des deutschen Nationalstaates, weitergehende Berücksichtigung der vaterländischen Geschichte und, fügt man hinzu, namentlich der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse und Entwicklungen des deutschen Volkes oder auch der Welt im Allgemeinen erfordere.

Man spricht nun viel von Reform des Geschichtsunterrichts, von Neugestaltung des geschichtlichen Unterrichts, und die Reformlitteratur, die Lernbücher, die Schulen der Geschichte u. s. w. ist wie auf allen andern Unterrichtsgebieten, die ja sämtlich der Reform in hohem Grade bedürftig erscheinen, bereits unübersehbar geworden: als ein Symptom, nur als ein solches dürfen wir jene pädagogisch- di= daktische Mißgeburt anführen, den Unterricht in Geschichte mit seinem Endpunkt an= zufangen, ein Versuch, der eine ernsthafte Besprechung freilich nicht verdient und der auch wohl schon als definitiv gescheitert zu betrachten ist, wenn wir gleich nicht zweifeln, daß man da und dort alsbald uns damit kommen wird, wie man mit dieser Methode des Krebsgangs die besten Erfahrungen“ gemacht habe. Wir wollen hier, um unsern Standpunkt von vornherein zu bezeichnen, bemerken, daß wir uns zu allem Reformgerede, soweit es organische Veränderungen im großen Stil in unserem Gymnasialunterricht verlangt und zum Teil in zwei kurzen Zwischenräumen, 1882 und 1892, durchgesezt hat, durchaus skeptisch verhalten und das Heil im Gebiet des Gymnasialunterrichts nur erwarten von der unermüdlichen Vervollkomm= nungsarbeit, welche die einzelnen zum Lehren Berufenen an sich selber vornehmen,

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