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Einen mächtigen Gehülfen erhielten die Schweizer Theologen an einem Mann, dessen Originalität nicht zu bezweifeln ist und dessen Vorstellung der göttlichen Weltregierung auch in unserer Zeit viele Anhänger hat. Ihm war jedoch die Art, wie Lavater Gott und seine Vorsehung handgreiflich machte, viel natürlicher als dem Schweizer Theologen. Jung-Stilling nämlich ward durch Göthe, Herder, Lavater, also von ganz verschiedenen Geistern zu einer Bedeutung unter unserer Nation gebracht, die mehr auf seinen sonderbaren Schicksalen und auf der in ihm personifizirten und später im idyllischen und sentimentalen Styl seiner Zeit vorgetragenen Denkart und Lebensweise einer gewissen Klasse unseres niedern Volks, als auf irgend einer ausgezeichneten Geisteseigenschaft beruhte. Die Menschenklasse, welche Jung-Stilling repräsen= tirt, ist besonders in Westphalen zu Hause. Sie ist aus der Bibel, die sie gerade so versteht, wie das Wort lautet, belehrt und ge= bildet, sie hat Theil an jenem Geiste der Betrachtung, der in Westphalen seit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts fortlebt, und hat noch jezt im Wupperthale ihre Metropole. Diese mußte nothwendig den Ansichten Lavaters ganz ausschließend huldigen. Solche Leute haben von der Gottheit und von der Vorsehung eine fire, seit mehren Jahrhunderten überlieferte Idee, welche sowohl der Publicist und geübte Weltmann Pütter, als der Schneider und von der Welt entfernte Jung-Stilling in Westphalen mit der Muttermilch eingefogen hatten. Sie, wie die Juden, von denen sie im A. T. lasen, konnten nichts Befremdendes darin finden, daß der Gott der Christen eine Art menschlichen Körper habe, daß er fortdauernd körperlich und sinnlich die Men

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schen regiere, und gewissermaßen am Strick leite. Diese Ansicht ist poetischer als die der Gebildeten von ewigen unwandelbaren Gesezen, von einer nur im Geiste gegenwärtigen, nur geistig wirkenden Gottheit; freilich führt diese Ansicht doch am Ende den Denkenden zu demselben Resultat wie die philosophische. Ein Mann, wie Jung-Stilling, der bei jedem Schritt und bei jeder Handlung nach dieser Ansicht verfuhr und wirklich, nicht affektirt, jede Geldhülfe, die ihm zu rechter Zeit kam, als ganz unmittel= bar von Gott kommend ansah, war Dichtern wie Herder und Göthe eine merkwürdige Erscheinung. Diese Art, wie er das Leben auffaßte, wie er seine Schicksale erzählte, wie er die Wege der Vorsehung verstand, schien ihnen eine Jdylle und eine Naturpoesie eigner Art, weil sie nicht gemacht ward, also nicht durch das Kunstgebilde der Form den Hörer gewann, sondern wie ein Gewächs aus einem ganz eigenthümlichen Boden entsproß. 46)

Dies bewog die Dichter, die Jung-Stilling persönlich kennen lernten, ihn zu vermögen, sein Leben zu schreiben, oder vielmehr das Beginnen zu unterstüßen, seine Ansicht des Lebens dem PubLikum mitzutheilen, so wenig er auch der Sprache der gebildeten Welt damals noch mächtig war. Sein Styl paßte zu der Art Geschichte, die er schrieb, sehr gut, und der erste Theil seines Lebens wird immer das Beste unter seinen vielen Büchern bleiben. Vier Theile eines solchen Lebens waren freilich zu viel; die beiden ersten 1778 und 1779 unter dem Titel: Jung-Stillings Leben und Wanderschaft, erschienenen Bände enthalten jedoch unstreitig eine anziehende, aus Wahrheit und Dichtung gemischte, fromm empfindsame Idylle ganz eigner Art. Ein Leser, der der gedrechselten Perioden und der erkünftelten Empfindungen

46) Welche eifrige Anhänger der gute Jung-Stilling unter Seinesgleichen noch jezt in Westphalen haben muß, hat der Verfasser noch in diesem Jahre, also sehr lange nach der Erscheinung der dritten Auflage des Buchs erfahren. Ein Anhänger Stillings hat im Sayn und Altensteinschen Wochenblatt, wo sonst nur Anzeigen mercantiler Art enthalten find, setner Wuth über das achtzehnte Jahrhundert und dessen Verfasser Luft gemacht und ihm das Stück Löschblatt, worauf dies gedruckt war, auf der Post zugeschict. Hätte er gewußt, wie oft der Verfasser dergleichen erhalten hat und wie sehr ihn dergletchen Kleinstädterei amüfirt, er hätte sich gewiß die Mühe nicht gegeben.

und Verwicklungen der zahlreichen Romane, der lächerlichen Sprünge der damaligen Kraftgenies und der nachherigen Romantiker, sowie der oft an das Taumeln der Betrunkenen erinnernden Verzerrungen der sogenannten Humoristen müde und überdrüssig ist, sieht sich durch Jung wenigstens in die Natur versezt, wenn diese auch oft an unreinlichen und sumpfigen Stellen nicht gerade lieblich ist. Man wandert troß des elenden Styls, der durchaus unedlen Sprache und der oft gemeinen Ansicht des edelsten Theils vom menschlichen Wesen und Streben nicht ungern an der Hand des originellen Mannes durch verschiedene Stände, Orte, Verhältnisse, mit denen man sonst, wenn man in Städten erwachsen und auf die gewöhnliche Weise gebildet ist, ganz unbekannt bleibt. Der Ton biederer Herzlichkeit, das Tröstende, welches der Verfasser in allen den sonderbaren Lagen seines Lebens findet, die Art, wie er Gott gebraucht, wenn er vom wandernden Schneidergesellen zum Freund des vortrefflichen Carl Friedrich von Baden nach und nach durch die Fügung der Umstände, oder, was einerlei ist, durch die Vorsehung hinaufgeführt wird, söhnen uns mit der unschuldigen Einbildung, die er von sich selbst hat, aus. Wir bewundern die Eitelkeit der Gotteskinder und die fromme in ihren Büchern herrschende Klugheit, welche sehr geschickt Gott und alle Menschen als bloßes Werkzeug zum Dienste einer ganz kleinen Person zu gebrauchen versteht.

Unstreitig ist übrigens, daß Stillings Leben und Wanderjahre, besonders jedoch nur die zwet ersten Theile, in jener bewegten Zeit Epoche machten und gewissermaßen einen ganz eignen Kreis von Lesern anzogen. Die Ansichten des Verfassers waren. nämlich noch die des Volks ganzer Gegenden und Provinzen von Deutschland. Die Stifter der neuen Literatur waren diesen zu hoch oder diese Literatur selbst ihnen zu weltlich, die Vorstellung eines Gottes, der jeden einzelnen Menschen am Seil führt, war sehr bequem; Jung-Stilling erhielt daher in Deutschland, wie Pfenninger in der Schweiz, bald weit mehr Gewicht, als beider Kenntnisse, ihre Fähigkeiten und die Form, die sie ihren Schriften geben konnten, verdienten. Darauf gründete denn freilich Jung-Stilling, der nach der Bekanntmachung seiner Jugendgeschichte zünftiger Gelehrter oder Universitätsprofessor geworden war,

eine Buchmacheret, mit der wir hier nichts zu thun haben. Alle feine, seitdem als Fabrikate gefertigten mystischen Nomane gehören nicht der allgemeinen Literatur, sondern einer ganz besondern Gattung an, welche für die Leute besonders bestimmt ist, denen das gewöhnliche Tageslicht an den Augen wehe thut, die sich deshalb gern in ein Helldunkel oder gar ganz ins Dunkle stellen. Wir schweigen daher vom Florentin von Fahlendorn, vom Leben Theodors von der Linden, von Theobald oder die Schwärmer. Nur über das lettere Buch müssen wir für den, der die Mystik jener Zeit und ganz besonders die Rosenkreuzerei, welche den König Friedrich Wilhelm II. in ihren Neßen hielt, kennen und verfolgen will, bemerken, daß er dort sehr brauchbare Notizen findet. Man lernt nämlich aus diesem Roman eine bedeutende Anzahl der Geheimnißkrämer und Mystiker kennen, welche in jenen Zeiten in den Rheinlanden ihr Wesen trieben, und lernt von dem leichtgläubigen Jung-Stilling, wie man ganz ernsthaft und als wenn man Dokumente vor sich hätte, die Geschichte dieser Mystik, die leider nur zu viel von Gaunerei in sich und an sich hatte, von Moses, Zoroaster und der ägyptischen Priesterschaft, vermöge der Tempelherrn des Mittelalters zu Christian von Rosenkreuz herabführte.

S. 6.
Geschichte.

Die deutschen Universitäten, wenn man etwa Leipzig während einer kurzen Zeit ausnimmt, waren ihrem Charakter als gelehrte Anstalten aus den Zeiten des spätern Mittelalters treu geblieben und ihre Lehrer hatten mit ziemlicher Verachtung auf die Revolution der Literatur, die unter ihren Augen vorging, herabgeblickt und ihr gelehrtes Gewerbe für Geld fortgetrieben, wie vorher. Selbst als hernach die Universitätspolitik vorschrieb, einzulenken, und als man sich das Ansehn gab, in Göttingen und in Jena neben den Brødfächern auch Volksliteratur begünstigen zu wollen, beklagten sich die Glieder des Hainbundes in Göttingen und später Schiller in seiner Correspondenz bitterlich, daß auf deutschen Universitäten für wahre Humanitätsbildung keine Stätte

bereitet sei. Vortheilhaft war es übrigens für die Bildung unserer Nation, so weit diese von den eigentlich nur für die soge= nannten Brodwissenschaften bestimmten Staatsanstalten ausging, daß die hannöversche und die weimarsche Regierung auf ihren Universitäten ein ganz verschiedenes oder gar entgegengeseßtes System befolgten. Dies hatte die Folge, daß im neunten Jahrzehnt des Jahrhunderts Göttingen Siz der reellen und materiellen, Jena der idealen und ästhetischen Wissenschaft wurde.

Göttingen war seit seiner Errichtung ganz besonders für diejenigen Fächer eingerichtet, die man in Hannover und London nüglich und reell, oder wie man jezt vornehm sagt, materiell brauchbar fand. Wer Haller als Ausnahme anführen wollte, würde vergessen, daß er nicht als Belletrist, sondern als Anatom und Physiolog nach Göttingen kam, und wäre dies auch nicht, so gehörte er ja der Gottschedschen und Bodmerschen Periode an und reichte wenig über sie hinaus. Was man aus Göttingen machen wollte, sehen wir aus einem Originaldocument in Bü= schings Selbstbiographie, wo die sämmtlichen Männer, die der vergötterte Herr von Münchhausen dort versammelt hatte, aufge= zählt werden. Zu der Masse ganz nach alter Weise grundge= lehrter, den Hofmanieren der alten Zeit mit Respect huldigenden und die adelige Jugend zu denselben in steifen Gesellschaften dressirenden conservativen Gelehrten, gehörte nothwendig eine ungeheure Menge von Büchern; auch dafür wurde gesorgt. Münchhausens Orakel waren Michaelis und Pütter, bis später Heyne den Ersteren verdrängte. Die Namen dieser beiden, als eigent= liche Gelehrte, der Lezte auch als Jurist, höchst achtbaren und ausgezeichneten Männer, bezeichnen schon allein hinreichend die Art von Bildung und von Literatur, die sie fördern konnten; auch haben sie es uns überdem in ihren Lebensbeschreibungen ausdrücklich gesagt.

Pütter blieb auch nach Münchhausens Tobe Orakel der hannöverschen Regierung und George III., der sich persönlich um Göttingen bekümmerte und an Pütter einen Mann fand, der eben so starkgläubig und bibelfest war, als er selbst. Michaelis mußte Heyne nachstehen, der freiere Ansichten hatte, und mit großer Vorsicht einiges neue Licht in die Büchergelehrsamkeit

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