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Umstand ist noch, daß man allgemein behauptete, daß der beste Theil der ersten Ausgabe des Werks, wegen dessen Raynal aus Frankreich verbannt wurde, dem er aber auch den Ruf verdankte, dessen er zum Theil noch genießt, von Diderot herrühre. Man muß nämlich gestehen, Diderot heuchelte und höfelte nicht wie Marmontel, er war wirklich Enthusiast für seine dreisten und himmelstürmenden Lehren, wegen deren am Ende sogar d'Alem= bert mit ihm brach; er arbeitete daher gern und unerschöpflich für jeden, der seine freche Rede zu verantworten übernehmen wollte.

Marmontel, Diderot, Raynal, Morellet beweisen hinreichend, daß das bloße Gedächtnißwerk, die Nhetorik, Dialektik, Grammatik, kurz der ganze Mechanismus des Lehrens und Lernens der jesuitischen Schulen, zu welchem die Jugend dreffirt ward, um für die Kirche zu streiten, eben so gut gegen diese Kirche ange= wendet werden konnte, wie umgekehrt im neunzehnten Jahrhun= dert die Rhetoren, Sophisten, Dialektiker der eiteln Schulweisheit wieder diejenigen gewesen sind, welche Aberglauben und Vorurtheile durch Redensarten gestüßt haben. Raynal war in Pezenas schon Jesuit gewesen; er meinte, er habe gar nicht übel gepredigt, doch gab er, als er nach Paris kam, das Predigen ganz auf, weil er, wie er sich ausdrückt, einen Accent von allen Teufeln gehabt habe. Seit der Zeit ward er ein Bücherschreiber von Profession und fand, weil damals historisch-politische Bücher Mode wurden, in der Geschichte der Europäischen Colonisation_in_Indien einen Gegenstand, den er in der Manier der sogenannten Deconomisten behandeln konnte.

Die erste Ausgabe von Raynals philosophischer Geschichte der Handelsniederlassungen der Europäer in beiden Indien, muß jedoch von der zweiten wohl unterschieden werden. Die erste Ausgabe ist eine ganz leere Deklamation, die zweite ein in gewisser Hinsicht auch praktisch brauchbares Werk, gleichwohl hat nicht die zweite, sondern gerade die erste Ausgabe dem Verfasser einen Plaz neben den Diderots, Marmontels u. f. w. verschafft, dies ist für die Charakteristik der Zeit der Salons und ihrer Sophistik von Bedeutung. Die erste Ausgabe erschien um 1770, und Diderot diktirte dem Abbé Dinge in die Feder, die er selbst nicht die Dreiftigkeit hatte, dem Publikum mitzutheilen, Schlosser, Gesch, d. 18. u, 19, Fahrh. IV. Th. 4. Aufl. 2

er erschrack sogar darüber, daß es Raynal wagte. Dafür machten die Akademiker einen solchen Lärm über das seichte Werk, daß nach neun Jahren, welche zwischen der ersten und zweiten Ausgabe verflossen, statistische Angaben und andere für ein solches Werk ganz unentbehrliche Notizen aus allen Ecken und Enden dem Verfasser zuflossen. Da Raynals Buch Dinge enthielt, welche Diderot, der sie ihm eingab, nicht würde gewagt haben, bekannt zu machen, so erregte es dasselbe Aufsehen, wie alle Werke, welche damals aus dem Widerwillen gegen Pfaffenthum, der durch die radikalen Declamatoren in Haß des Christenthums ausartete, und aus dem Streben nach Freiheit vom Drucke politischer Willkühr, welches oft Verachtung des Sittengesezes und der bürgerlichen Ordnung erzeugte, hervorgingen. Türgot urtheilt über das Buch in einem Briefe an Morellet, der sich damals in England befand, um in Türgots Auftrag die Betriebsamkeit, den Handel, die Fabriken u. s. w. näher kennen zu lernen, sehr verständig.

Ich bin neugierig, zu erfahren, schreibt er, was wohl die Engländer von der Geschichte der beiden Indien gedacht haben. Ich gestehe, daß ich zwar das Talent des Verfassers und sein Werk bewundere, daß ich aber an dem Mangel an Zusammen= hang der Ideen Anstoß nehme. Er trägt Paradorien vor, die fich einander geradezu widersprechen und vertheidigt die Einen mit derselben Wärme, mit derselben Beredsamkeit, demselben Fanatismus wie die Andern. Bald ist er strenger Prediger der Sittenzucht (Rigoriste), wie Nichardson, bald Feind aller Moral (immoral) wie Helvetius, bald voll Enthusiasmus für sanfte und zarte Tugenden, bald wieder für wilde Ausschweifung und troßigen rohen Muth. Er nennt die Sklaverei eine verruchte Sache und doch verlangt er wiederum Sklaven, er bringt unsinniges Zeug über die Naturlehre, unsinniges Zeug über Metaphysik und und zuweilen auch über Politik vor. Das ganze Buch zeugt von einem geistreichen und gut unterrichteten Verfasser, der aber gar nicht daran denkt, daß in einem Buche eine leitende Idee sein. müffe, oder daß es einen bestimmten Zweck haben solle. Er läßt fich vom Enthusiasmus eines jugendlichen Rhetors von Einem zum Andern fortreißen. Er scheint sich die Aufgabe gemacht zu haben, hinter einander alle die Paradorien zu vertheidigen, welche

er beim Lesen der Bücher anderer Schriftsteller aufgestellt hat, oder die ihm in seinen wachenden Träumen eingefallen sind. Er hat mehr Kenntnisse, mehr Gefühl und mehr natürliche Beredsamkeit als Helvetius; es ist aber, um die Wahrheit zu sagen, eben so wenig Zusammenhang in seinen Ideen, und er kennt das eigentliche Wesen des Menschen eben so wenig als dieser.

Wir lassen ausdrücklich einen Franzosen und zwar einen Mann wie Türgot über die Seite des Buchs reden, mit der wir es eigentlich hier nicht zu thun haben, unterschreiben das Urtheil aber ohne Bedenken, und müssen nur noch dazu bemerken, daß Türgot gleichwohl in Beziehung auf seine Zeit und auf seine Nation ganz Recht hatte, wenn er dennoch dazu beitrug, das Buch, besonders die zweite Ausgabe in Ruf zu bringen. Der damals in statistischen, staatswissenschaftlichen und staatswirthschaftlichen Dingen ganz unwissende Haufe der Leser, Leute, die kein Buch ohne hochklingende Phrasen, keine Geschichte ohne das, was man Zauber des Styls nennt, würden gelesen haben, ward durch Diderots und Naynals Geschwäß mit Dingen bekannt, mit deren wahrer Beschaffenheit dies Publikum es nicht so genau nehmen durfte, weil es vorher gar nichts davon wußte. Wir reden hier nämlich von jenen Zeiten, wo Deutschland und Rußland auf gleiche Weise der Norden hießen, der von Barbaren bewohnt, keiner Notiz werth sei. Diese Zeiten sind bekanntlich verschwunden, man wird aber die Spuren derselben noch immer nicht blos in den gelesensten pariser Zeitungen finden, sondern selbst in den Berichten der neulich von den Doctrinärs auf Unkosten der armen Franzosen so zahlreich auf Reisen geschickten Literaten. Raynal brachte auf einmal viel statistische Gelehrsam= keit, Zahlen, einzelne Angaben über Handel, Verkehr und Staatskunst, zugleich mit allerlei neuen Vorstellungen, wenn auch ganz unreifen, über Toleranz und Fanatismus nicht blos an die Weiber und Schwäßer der Salons, sondern an Handelsleute und Geschäftsmänner verschiedener Art und überhaupt an das Volk. Dies gilt auch vom Könige von Preußen, der sonst nicht gerade Raynals Bewunderer war. Auch dieser las das Werk und be= handelte den Schwäger ungemein freundschaftlich, während er mit seinen deutschen, fleißigen, genauen, durchaus zuverlässigen, aber

freilich langweiligen und nicht von Paris aus empfohlenen Meistern in dem Fach, in welchem Raynal stümperte, mit einem Süßmilch und Büsching ziemlich unsanft umging.

Die sogenannten Wighs der Engländer, die bei Naynal, wie bei Montesquieu, ein glänzendes Lob der Engländer, ihrer Plutokratie und Industrie und ihrer ganzen selbstsüchtigen Weisheit fanden, empfingen ihn, als er von der Sorbonne verurtheilt und vom Parlamente verbannt nach England kam, mit offenen Armen, wie er auch in Holland und in Berlin empfangen ward. Durch die Reisen und durch die Verbindungen mit allen denen, welche Alles, was von Paris aus empfohlen ward, als vortrefflich ansahen, erhielt Raynal die Gelegenheit, der zweiten um 1781 erschienenen Ausgabe seines Werkes einen reelleren Werth zu geben, als die erste durch Diderots Deklamation vorher erhalten hatte. Die vielen statistischen, administrativen, commerciellen guten Notizen, die man ihm in Holland und England aus zum Theil nicht leicht zugänglichen Quellen mittheilte, machten das Werk, bis bessere erschienen, fast unentbehrlich und brachten es auch in die Hände solcher Männer, welche die hohlen Deklama= Honen der Encyklopädisten recht gut durchschauten. In dem Zeitraum zwischen den beiden Auflagen war der amerikanische Krieg ausgebrochen und die Demokratie war in Paris Mode geworden, danach ward der Ton der neuen Ausgabe eingerichtet. Dieser Ton war heftig, das Buch mußte deßhalb in Genf gedruckt_werden, wie Rousseaus Bücher in Holland. Die lächerliche Verfolgung, die man hernach über das Buch und den Verfasser verhängte, gaben ihm eine Bedeutung, die es sonst schwerlich würde erhalten haben. Die Sorbonne verdammte endlich das Buch, das Parlament ließ es nach seiner alten Art durch Henkershand verbrennen und einen Verhaftsbefehl gegen den Verfasser ausfer= tigen, der dann das Land verließ und im Auslande einen Triumph über Parlament und Sorbonne feierte, bis er 1788 ruhig zu= rückkehren konnte. Alle französisch gebildeten und französisch redenden deutschen Fürsten, wie die englische Aristokratie behandelten den Franzosen ganz anders, als König Friedrich Büsching behandelte, als er ihm mit einer statistischen Zudringlichkeit beschwerlich fiel, wie uns Büsching selbst mit komischer Naivetät berichtet.

Uebrigens ist es allerdings wahr, daß Raynal mit seiner Deklamation, aus leicht begreiflichen Ursachen, weit mehr zur Verbreitung einer gesunden Philosophie des Lebens, zur Beförderung des Handels, der Gewerbe der neuern Zeit und zur Zerstörung der Vorurtheile des Mittelalters gewirkt hat, als Schlözer und Büsching mit aller Gründlichkeit. Eine andere Frage ist die, welches Verdienst der ernste Mann vorziehen soll?

S. 2.

Rousseau. Büffon.

Bei der Erwähnung Rousseaus in den beiden ersten Bänden dieses Werkes sind seine Briefe vom Berge aus dem Grunde übergangen worden, weil sie der Zeit und dem Inhalte nach der demokratischen Bewegung des leßten Viertels des Jahrhunderts angehört; diese Schrift muß hier nachgeholt werden. Rousseau schrieb dies demokratische und heftige Buch, welches wir mit Junius Briefen und den Schriften des Doktor Price und mit Thomas Paynes Invective gegen Theologie, Hierarchie und Aristokratie in eine Linie stellen, als Advokat seiner genfer Bürger. Er wollte in den Briefen gerichtlich und dokumentarisch beweisen, daß die genfer Aristokraten die Oligarchie, welche damals in Genf bestand, usurpirt hätten. Was er früher in seiner Philosophie der Entstehung der gesellschaftlichen Verbindung unter den Men= schen (d. h. im Contrat social) dialektisch und spekulativ entwickelt, also jedem nicht streng philosophisch gebildeten Leser ent= rückt hatte, trägt er in den Briefen vom Berge, von denen wir hier reden, jedem gewöhnlichen Bürger, wenn er nur von Jugend auf an öffentlichen Angelegenheiten Theil genommen hat, faßlich vor.

Der genfer kleine Rath hatte nämlich, wie schwache Regierungen oft einzelne Staatsbürger aus Gefälligkeit gegen mächti= gere, oder auch aus Schwäche, preiszugeben pflegen, aus Gefälligkeit gegen Frankreich auch in Rousseaus Angelegenheit dem Rathe des Caiphas gemäß gehandelt. Für die Ertheilung dieses Raths (Che convenia porre un uomo per il populo a martiri) läßt bekanntlich Dante den Hohenpriester in der untersten Hölle

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