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hindurch die tonangebenden Theologen und Philosophen und in Weimar die Häupter der Prosaisten und Dichter der Nation zusammen vereinigten und neue Wege bahnten. Jena und Weimar wurden auf eine kurze Zeit die eigentliche Metropole Deutschlands und erhielten die Bedeutung für unsere Nation, welche London und Paris für die Englische und Französische haben, sie hatten einen Ruf, den seit 1806 keine einzelne deutsche Stadt hat erlangen können. Die neue Religionswissenschaft ward von dort aus verbreitet (denn auch Herder war ja der alten und geschmacklosen Lehre abgeneigt), die in Königsberg erfundene Philosophie ward ebenfalls von dort aus zehn Jahre später nicht allein allgemein verkündigt, sondern gerade in Weimar und Jena auf eine ausgezeichnete Weise gebraucht, um unserer ganzen Literatur einen von allen Nationen Europas bewunderten geistigen Gehalt und Schwung zu geben. Fast alle diejenigen, welche die Religionswissenschaft der Protestanten damals dem Bedürfniß der fortge= schrittenen Cultur angemessen entwickelten, waren junge Männer aus Semlers Schule, und ihr Bemühen, ein neues System aus den alten Materialien mit Ausscheidung der ganz unbrauchbaren zu errichten, war um so verdienstlicher, als die Franzosen, der Fragmentist, ein C. F. Bahrdt und viele Mitarbeiter der A. D. B., schon damals die Ton angebenden Klassen auf den Gedanken gebracht hatten, daß weder der alte Bau noch die Materialien deffelben für unsere Zeit mehr einen Werth hätten. Der Jenaische Theolog Danov stand in seiner Zeit ziemlich allein.

Danov nämlich, obgleich es damals noch als eine große Sünde angesehen wurde, sich auch nur ein Haar breit von den symbolischen Büchern zu entfernen, folgte Heilmanns Grundfäßen und demonstrirte, wie dieser in lateinischer Sprache die Vernunftmäßigkeit der alten Dogmatik ungefähr auf dieselbe Weise, wie der Abt Jerusalem in zierlich gebauten deutschen Perioden dasselbe that. Er ging jedoch einen bedeutenden Schritt weiter, als Heilmann in Göttingen zu thun wagte. Er beleuchtete nicht_allein die Dogmen nach seiner Art philosophisch, sondern er scheute sich auch nicht, viele Lehren des symbolischen Lehrbegriffs, die Heilmann nicht antastete, zu bestreiten. Der neue Weg, den hernach die folgende Generation von Lehrern betrat, um ein ChriSchlosser, Gesch. d. 18. u. 19. Jahrh. IV. Th. 4. Aufl. 7

stenthum zu verkündigen, welches von allen Zusäßen der späteren Zeiten ganz gereinigt sei, war philosophisch, kritisch und eregetisch schon gebahnt, ehe Herder von einer andern Seite her Aufklä= rung verbreitete; davon kann erst weiter unten die Rede sein.

In Jena trat Griesbach ganz in seines Lehrers Semler Spuren und verfuhr noch vorsichtiger als dieser, erlitt deßhalb auch keine Verkeßerung, wie sie Semler erfahren hatte. Er be= reitete damals ganz im Stillen alle die Veränderungen vor, welche später im Lehrbegriffe vorgenommen wurden. Eichhorn in Göttingen und Paulus in Jena machten den Grundsaß geltend, daß man bet den jüdischen und chriftlichen Schriften, wie bei den Werken des classischen Alterthums Kritik, Sprachgebrauch, Accommodation und Sitten des Orients berücksichtigen und den Vorurtheilen von wörtlicher Eingebung der Schrift ganz entsagen müsse. Griesbach 22) ging einen Weg, der dem von Semler betretenen entgegengesezt war; er begann behutsam und endigte dreist, Semler begann dreist und stand hernach plöglich still. Griesbachs erste Bücher waren nur den Gelehrtesten brauchbar; er überließ es Andern, die überraschenden Resultate_seiner_kriti= schen Forschungen in populärer Form und in einem anziehenden Gewande vorzulegen, bis er endlich selbst das ganze Resultat dieser Forschungen philosophisch zusammenfaßte und Alles das, was er für Wesen des Christenthums hielt, in einen kurzen Abriß vereinigte. Griesbach hatte also nicht blos wie Semler, vom Hafse des Aberglaubens und des Betrugs beseelt, überall nur das Falsche gesucht, um zu beweisen, daß es falsch sei, ohne etwas Anderes an die Stelle des erwiesen Falschen zu sehen, sondern er suchte ein Christenthum, welches den Forderungen der Vernunft eben so angemessen set, als den ächten Quellen der chriftlichen Lehre und ihrer Geschichte. Semler kam daher dahin, daß er zur Zeit seines Streits mit Bahrdt und mit dem Verfasser und

22) Die Theologie, so wichtig fie für die Geschichte auch ist, gehört nicht hierher. Wer daher das Nähere über Griesbach wissen will, den verweisen wir auf die vortreffliche Charakteristik seiner Leistungen, welche Paulus in den Heidelberger Jahrbüchern für 1812 tm Intelligenzblatt Nr. VII. ge= geben hat.

Deutsche Literatur: Theologie.

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MICHIGAN

Herausgeber der Wolfenbüttler Fragmente ausdrücklich erklärte: „Er habe das Ansehen der symbolischen Bücher der evangelischen Kirche niemals erschüttern, sondern nur die theologische Gelehr= samkeit verbessern wollen." Er behauptete denselben Sat, den auch manche verständige Eiferer für die veralteten Symbole in unsern Tagen zu behaupten pflegen: Daß die sogenannten symbolischen Bücher und Concordienformeln zur äußern gesellschaftlichen Religion, zur Erhaltung der Einheit und der Ordnung in der Kirche nothwendig, daß sie das äußere Vehikel seien, welches dazu diene, den großen Haufen doch zu einer bestimmten Religion anzuhalten, bei den Fähigeren aber die innere, freie, le= bendige, moralische Religion zu entwickeln.

Die Theologen in Jena, wie hernach Eichhorn und Plank in Göttingen, verfuhren anders. Sie glaubten weiter gehen zu dürfen als Semler und Griesbach und gaben sich vielleicht hie und da der Bewegung einer aufgeregten Zeit mehr hin, als den Lehrern einer positiven Staatsreligion zu rathen ist, welche gewisser= maßen besoldete, an eine Instruktion gebundene Beamten sind. Als daher Griesbach aus dem Dunkel seiner Gelehrsamkeit hervortreten und endlich das Resultat seiner ohne alle Polemik fortgesetten Prüfung angeben wollte, ließ er die wissenschaftliche Dogmatik unangetastet und suchte nur festzusehen, was dem Volke vorgetragen werden dürfe. Er wollte nicht, wie Semler, durch einen from= men Betrug, den man einst, um die Einführung des Christenthums zu erleichtern, Oekonomie des Glaubens nannte, das Volk in dem Wuste des alten Frrthums laffen, damit es nicht jeden Glauben verschmähe, sondern er wollte an die Stelle der alten Katechismus-Dogmatik eine populäre Glaubenslehre feßen, die er aufs vorsichtigste faßte. Zu einer solchen Arbeit entschloß sich übrigens Griesbach erst dann, als das, was jezt Rationalismus geschimpft wird, in populären Schriften über die Gränzen hinausgetrieben ward, innerhalb deren man bleiben muß, wenn nicht die Staatsreligion oder der positive Glaube der unwissenden Menge und mit ihr die Sittlichkeit gänzlich zusammenstürzen soll. Griesbach wandte sich in seinem Buche an die Theologen als an künftige Seelsorger, nicht als an Gelehrte oder Philosophen. Er schrieb nämlich um 1786 die Anleitung zum Studium der

populären Dogmatik für künftige Religionslehrer. In diesem Buche lehrte Griesbach, auf welche Weise man beim Volksunterricht nicht blos, sondern auch beim Unterricht künftiger Volkslehrer, ohne das Volk zu betrügen und ohne, wie jego geschieht, zu Sophismen seine Zuflucht zu nehmen, die das Volk bald verachten lernt, Religion ohne Dogmatik lehren könne. Dies Buch scheint uns für unsere rückwärts schreitenden Zeitgenossen auch aus dem Grunde vor andern historisch wichtig, weil Griesbachs nur zu rasch vorwärts schreitende Zeitgenossen dasselbe mit so vielem Beifall begrüßten. Es wurden von dieser Anleitung in drei Jahren drei Auflagen gemacht. Was er bezweckte, drückt Griesbach durch den Sah aus, daß diese Art Dogmatik, welche bestimmt sei den praktischen Einfluß theoretischer Religionswahrheiten zu entwickeln, mit der rein populären ganz nahe verwandt sei. Sowohl Griesbach als Eichhorn und Plank und später auch Paulus, konnten übrigens nur auf den äußern, gelehrten und historischen Theil der Religionslehre einwirken, des Wesens derselben bemächtigte sich bald die neue Philosophie. Aus Kants Philosophie entsprang nämlich bald eine andere, welche man lange beschuldigt hat, daß ihre Lehre, daß Alles Eins sei, alle Religion in Dunst und Spieleret mit Säßen und Begriffen verwandele, und die Natur zum Gott und Gott zur Natur mache. Schelling ward nämlich, wie jezt an der Tagesordnung ist, des Pantheismus beschuldigt, wie Fichte des Atheismus.

S. 2.

Basedow und die Philanthropiums zu Dessau, Marschlinz,
Hetdesheim. C. F. Bahrdt und seine Bibel übersehung.
J. A. Eberhard und seine Apologie des Sokrates.

Wir haben im vorigen Bande der Rolle erwähnt, welche Basedow als Verkündiger einer neuen Zeit, deren Geist von ihm ausgehen solle, übernommen hatte. Er war schon am Ende der vorigen Periode von der Philosophie und der Theologie, wo er es mit Leuten zu thun hatte, die ihm weit überlegen waren, zur Reformation des Unterrichts und der Erziehung übergegangen, deren Bedürfniß Jederman fühlte. Ihm waren Rousseau, la Cha

`lotais und Fielding in seinem Tom Jones vorausgegangen, und schon Montaigne hatte im sechzehnten Jahrhundert den Weg an= gedeutet, den Basedow bahnen wollte; auch hatte er es dabei mit Leuten zu thun, denen er gewachsen war. Er wendete sich vor= erst an das große, damals sentimentale, Publikum und an Väter und Mütter. Basedow war zum Umstürzen, zum Stürmen, zum Lärmen, zur Aufregung und zur Erweckung eines halb rohen, halb sentimentalen Volks der passendste Mann; es ist aber unbe-· greiflich, wie man glauben konnte daß ein Mann wie er, im Stande sein werde, eine neue moralische Erziehung zu begründen. Lieset man von seinem täglichen Leben, von seiner Streitfucht, seiner steten Trunkenheit, seinem Betragen gegen seine sentimentale Frau; hört man seine besten Freunde über das Aussehen seiner Person und seines Aufzugs, so wird man glauben, eher einen englischen Polizeibericht über einen der betrunkenen Frländer zu lesen, die jeden Morgen in London vor den Friedensrichter geführt werden, als die Schilderung des berühmten Gründers der neuen Erziehung. Wenn man indessen an Rousseaus Lebenswandel, verglichen mit seinen Schriften, an Mirabeaus, Marats, Dantons und Anderer schauderhafte Laufbahn denkt, so überzeugt man sich, daß keine radicale Reform durch moralische Werkzeuge ausgéführt werden kann, weil dazu entweder frevelhafte Unternehmungen, wie Dantons Thaten waren, oder unbegränzte Kühnheit, wie sie Basedow besaß, erfordert werden.

Basedow fand, als er öffentlich auftrat, den Schulunterricht (wie man unter andern aus dem, was Semler und Nikolai in ihren Lebensbeschreibungen über den Unterricht am Pädagogium zu Halle, der bedeutendsten Anstalt für Bildung der Jugendlehrer Deutschlands, berichten, lernen kann) in demselben Zustande, worin Mirabeau um 1789 die französische Monarchie fand, und die häusliche Erziehung war noch elender. Die schon im zweiten Bande erwähnte, höchst sonderbare Pränumerationsforderung Ba= sedows für sein Elementarwerk, welches alle Vortheile einer Revolution bringen, alle Wissenschaften in eine Nuß drängen und alles mögliche Wissen praktisch, jedem Kinde zugänglich machen sollte, fand einen ganz unerhörten Fortgang. Er hatte schon im Mai 1761 fünfzehntausend Thaler beisammen, zu welcher Summe

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